Er mag schnelle Ski und heisse Reifen, behält die Füsse aber auf dem Boden
25.04.2025 Sport, SportEr ist schnell, ehrgeizig und erstaunlich entspannt: Franjo von Allmen. Im Interview spricht er über mentale Stärke, Erinnerungen an das RLZ Gstaad, Motocross-Freude und die Kunst, zwischen Adrenalin und Achtsamkeit die Balance zu finden.
JOCELYNE PAGE
...Er ist schnell, ehrgeizig und erstaunlich entspannt: Franjo von Allmen. Im Interview spricht er über mentale Stärke, Erinnerungen an das RLZ Gstaad, Motocross-Freude und die Kunst, zwischen Adrenalin und Achtsamkeit die Balance zu finden.
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Franjo von Allmen, Doppelweltmeister – klingt gross. Wann haben Sie selbst zuletzt gedacht: «Wow, das hab ich wirklich geschafft»?
Ein paar Mal. Obwohl es schon eine Weile her ist, fühlt es sich noch nicht ganz so real an.
Sie sind mit Platz 28 und 33 in Beaver Creek (USA) in die Saison gestartet – am Ende holten Sie mehrere Weltcupsiege und zwei Weltmeistertitel. Beinahe hätten Sie Marco Odermatt die Abfahrtskugel weggeschnappt. Wie gelingt so eine steile Entwicklung – auch mental?
Ja, das war natürlich nicht der Saisonstart, den ich mir erhofft hatte. Danach habe ich mir gesagt: «Du kannst Ski fahren – du musst es einfach abrufen.» Klar, das ist manchmal leichter gesagt als getan. Aber ich habe versucht, mein Mindset für die nächsten Rennen komplett auf Null zu setzen.
Und dies scheint Ihnen sehr gelungen zu sen! Haben Sie einen bestimmten Schalter, um Ihr Mindset auf Null zu setzen?
Schön wärs, wenn es so einfach wäre! (lacht) Nach dem verhaltenen Saisonstart wusste ich einfach: Ich habe nichts zu verlieren. Das Mentale ist bei uns im Sport enorm wichtig. Der Druck von aussen ist sowieso da. Aber am meisten Druck machst du dir selber. Und das ist der, den du lernen musst, wegzustecken.
Faszinierend ist: Sie haben Klassiker wie das Lauberhornrennen, die Streif in Kitzbühel und die Stelvio in Bormio, die zu den anspruchsvollsten Abfahrten der Welt gehören, erst ein- bis zwei Mal gefahren und fuhren unter die Top 5 oder sogar aufs Podest. Skiasse wie Beat Feuz oder Dominic Paris gelang dies erst nach mehreren Teilnahmen oder auf manchen Strecken gar nie. Wie erklären Sie sich dies?
Das ist schwierig zu sagen. Es sind viele Faktoren, die zusammenspielen müssen. Manchmal sind es nur ganz kleine Puzzleteile, die am Schluss noch gefehlt haben – und plötzlich passt alles. Und genauso ist es manchmal schwierig zu erklären, wenn es eben nicht läuft. Dann fragt man sich auch: Warum? Woran liegt es jetzt? Aber im Moment bin ich wirklich gut aufgestellt – mit dem Material, mit der Unterstützung im Team und Umfeld, konditionell passt es auch.
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Welcher Klassiker ist denn Ihr Liebling?
Wengen. Es ist das erste Rennen, welches ich gewinnen durfte. Und es ist ein Heimrennen mit vielen Leuten, grossen Emotionen – es ist einmalig.
Marco Odermatt war lange unangefochtener Speedkönig – nun sind Sie ihm mehrmals gefährlich nahegekommen, haben ihm Goldmedaillen weggeschnappt. Im Zielraum wirkt es aber stets freundschaftlich, kein Konkurrenzkampf zu spüren. Stimm dieser Eindruck?
(Setzt ernste Miene auf) Gar nicht.
Erzählen Sie!
Wir reden im Zimmer nicht miteinander und (beginnt zu grinsen)… Nein, Spass, es ist wirklich alles sehr gelassen. Wir haben ein gutes Verhältnis, allgemein im ganzen Team. Weil es ein Einzelsport ist, können wir den Wettkampf auf der Piste austragen, aber daneben zusammen trainieren und uns gegenseitig pushen. Ich glaube, genau das hat unsere Teamleistung in dieser Saison so stark gemacht: Dass wir uns auch nach einem schlechten Resultat gegenseitig wieder aufbauen können. Diese positive Energie weiterzugeben, ist in solchen Momenten unglaublich viel wert.
Wie gehen Sie mit dem zunehmenden öffentlichen Interesse um – mit all den Erwartungen und dem medialen Fokus?
Relativ gelassen. Ich versuche wirklich, das Ganze locker zu nehmen. Klar, es ist nicht immer einfach, wenn man plötzlich überall als öffentliche Person wahrgenommen wird. Manchmal wäre man lieber privat unterwegs. Aber am Ende ist es ja auch etwas Schönes: Die Leute freuen sich mit dir, wenn sie dich sehen. Und deshalb versuche ich, das Ganze in positive Energie umzuwandeln – und irgendwo auch als Kompliment zu sehen.
Ein sehr positiver Ansatz. Sie haben das 9. Schuljahr am Gymnasium Interlaken am Standort Gstaad gemacht und waren Teil des Regionalen Leistungszentrums (RLZ) Gstaad. Was verbinden Sie heute mit dieser Zeit im Saanenland?
Ich habe damals ziemlich schnell gemerkt, dass das Gymnasium nicht mein Ding ist. Es war aber eine tolle Chance für mich, denn das Gymnasium Interlaken erlaubt es uns Nachwuchsathleten, Sport und Schule unter einen Hut zu bringen. Mir war eigentlich klar, dass ich eine Lehre machen wollte, und trotzdem habe ich von dieser Zeit profitiert.
Und welche Erinnerungen an das RLZ sind Ihnen geblieben?
Das RLZ Gstaad gefiel mir. Ich war dort mit tollen Kollegen unterwegs – wir hatten es einfach gut zusammen. Klar, das Training war wichtig, aber manchmal stand es auch ein bisschen im Hintergrund. Wir hatten einfach Spass und haben das Skifahren richtig genossen.
Wer waren denn die Trainingskollegen?
Lian von Grünigen, Michael Knöri, Reto Allemann, Diego Marti… Wir waren eine lustige Truppe, mit der ich bis heute viele Erinnerungen verbinde.
Und gab es jemanden – eine Trainerin, einen Trainer –, der Sie auf diesem Weg besonders geprägt hat?
Ja, Fred Labaune war damals unser RLZ-Trainer, er ist auch heute noch Cheftrainer. Er hat mit uns Jungs so einiges mitmachen müssen (lacht). Er war immer locker drauf, hat aber im richtigen Moment den Fokus der Trainings aufs Wesentliche gelegt. Ich glaube, er ist schon eine dieser Personen, die mich auf meinem Weg sehr geprägt haben.
Und wenn es um die Region geht, welches ist Ihr liebster Hang oder Ihre liebste Piste im Saanenland oder Simmental?
Im Simmental ist es definitiv der Jaunpass. Wir waren als Kinder oft dort oben und haben kleine Wege und Schanzen gebaut, dies direkt nach der Schule. In schneereichen Wintern konnten wir direkt vor die Haustüre fahren. Das macht die Region für mich so besonders.
Und im Saanenland?
Wasserngrat. Es hat coole, steile Pisten, auch das Freeriden ist toll.
Stichwort Freeriden: Sie mögen Sportarten, die adrenalingeladen sind. In der Freizeit setzen Sie sich gerne auf Ihr Motocross-Bike, kürzlich waren Sie sogar mit dem Hard-Enduro-Weltmeister Manuel Lettenbichler unterwegs. Zwei Weltmeister unter sich – was haben Sie voneinander mitgenommen?
Ich glaube, ich konnte mehr von ihm lernen als er von mir (lacht). Wir trafen uns an einem Event, wo die Profis aus Enduro und Trial ihre Tipps und Tricks verrieten. Da ich eher auf dem Motocross-Bike unterwegs bin und Lettenbichler ein Hard-Enduro-Spezialist ist, konnte ich den krassen Unterschied feststellen. Es sind tatsächlich zwei unterschiedliche Disziplinen. Es ist wie Slalom und Abfahrt. Ich konnte aber das eine und andere mitnehmen, beispielsweise das feinfühlige Fahren im Enduro (grinst) – das muss ich noch lernen.
Somit ist kein Disziplinwechsel vorgesehen, das Herz schlägt weiterhin für Motocross?
Genau. Für mich ist es ein super Ausgleich zum Skirennsport. Ich sehe da auch viele Parallelen zum Skifahren. Du fährst dieselbe Kurve zehnmal und trotzdem fühlt sie sich jedes Mal anders an. Es braucht schnelle, intuitive Entscheidungen, Gleichgewicht und Koordination. Das sind genau die Dinge, die auch auf der Piste zählen.
Speedrennen, Motocross, Enduro – dies alles verspricht viel Adrenalin. Ist das Teil Ihrer Persönlichkeit, mit solchen actionreichen Aktivitäten abzuschalten?
Ja, unbedingt. Das ist für mich ein super Ausgleich, bei dem ich wirklich abschalten kann – mit Kollegen unterwegs sein, Spass haben. Es gibt mir viel zurück, vor allem im Sommer, wenn ich den Ausgleich zum Skisport brauche. Natürlich braucht es auch mal ruhigere Momente zum Runterkommen. Aber nur zu Hause sitzen oder am Strand rumliegen, ist nicht meine Welt.
Der Sommer steht an, wo trifft man Sie? Auf der Baustelle als Zimmermann, in den Ferien oder im Trainingslager?
Ich würde wirklich gerne mal wieder auf die Baustelle, aber es ist zeitlich extrem schwierig. Als ich den Sommertrainingsplan erhielt, wurde mir schnell bewusst, wie viel neu hinzugekommen ist. Und das Training soll nicht zu kurz kommen. Nur auf die Baustelle zu gehen, damit ich sagen kann, ich war dort, bringt es auch nicht. Dann setze ich lieber den Fokus aufs Training und mache das dafür richtig.
Was darf ich mir darunter vorstellen, wenn Sie davon sprechen, dass vieles neu dazugekommen ist?
Das Konditionstraining nimmt die meiste Zeit des Sommers in Anspruch. Und dann kommen verschiedene Termine hinzu, beispielsweise Medienanfragen und Benefizveranstaltungen. Wir organisieren diese Termine jeweils sehr kompakt, damit ich genug Zeit für Training und Regeneration habe. Zudem möchte ich mir auch Zeit nehmen für meine Partner und Sponsoren, ihnen etwas zurückgeben, denn im Winter liegt der Fokus voll auf dem Skifahren.
Haben Sie denn auch mal Ferien?
Hatte ich schon, ich war kürzlich vier Tage weg.
Oh! Da haben Sie aber nicht übertrieben!
(lacht) Ja, ein verlängertes Wochenende ist für mich auch schon Ferien. Wenn die Stimmung und die Aktivität stimmt, braucht es gar nicht viel mehr.
Verspüren Sie denn keine körperliche Müdigkeit? Beziehungsweise spüren Sie, wenn es Zeit ist, sich auszuruhen?
Doch, klar. Das braucht es sicher manchmal auch, das «Ahifahre». Ich merke es selbst, wenn ich ans Limit komme, auch wenn es der Kopf nicht zulässt. Daher muss ich manchmal ein paar ruhige Tage einplanen.
Haben Sie denn Personen im Umfeld, die Sie darauf hinweisen, wenn Sie es ruhiger angehen lassen sollten?
Ich bin schon eher der Typ, der immer gern etwas anreisst und mein Kollegenkreis ist auch ziemlich aktiv. Deshalb muss ich selbst ein bisschen auf mich hören und merken, wann es besser ist, einen Gang runterzuschalten. Am Ende kann ich da eigentlich nur auf mich selbst hören.
Und nun auf die neue Saison: Haben Sie sich schon Ziele gesetzt? Starten Sie neu im Riesenslalom?
Nein, ich glaube das Thema Riesenslalom lassen wir lieber (lacht)! Es war cool, dies Ende Saison noch mitzunehmen, aber es müsste wirklich Sinn ergeben, in dieser Disziplin zu starten. (Anm. d. Red.: Beim Riesenslalom in Sun Valley Ende Saison startete er erstmals an einem Weltcup-Riesenslalomrennen, schied jedoch nach wenigen Toren aus.) Aber es ist noch zu früh, definitive Ziele zu setzen. Jetzt will ich erst mal die Saison richtig abschliessen, alles sacken lassen und dann den Fokus auf das Sommertraining legen. Wenn der nächste Winter näher rückt, schauen wir, in welche Richtung es geht. Ziele und Träume sind vorhanden.
Enduro und Trial sind Motorrad-Disziplinen im Gelände: Enduro setzt auf Ausdauerfahrten über lange, anspruchsvolle Strecken mit Hindernissen, während es beim Trial um technische Präzision, Balance und das Überwinden schwieriger Passagen ohne Bodenkontakt mit den Füssen geht.
KURZ UND KNAPP – SPONTANE ANTWORTEN EINES WELTMEISTERS
Lieblings-Skifahrer als Kind?
Ted Ligety.
Töff oder Ski – was gibt mehr Kick?
Ski.
Lieblingsskigebiet?
Jaunpass.
Lieblingswerkzeug auf der Baustelle?
Akkuschrauber.
Lieblings-Après-Ski-Bar?
Lothar-Bar.
Lieblingsessen vor dem Rennen?
Pasta.
Mit was?
Pesto. Nein, äh … Bolognese. Es spielt keine Rolle.
Das unbeliebteste Training?
Intervall.
Drei Dinge, die immer mit ins Trainingslager müssen?
Skischuhe, Helm, Handschuhe.
Spitzname als Kind?
Nöggu.
Warum Zimmermann und nicht Schreiner?
Lieber etwas Gröberes anpacken. Schreinerarbeit ist fast zu fein für mich.
Frühaufsteher oder Langschläfer?
Langschläfer, aber trotzdem Frühaufsteher.
Berufsbedingt?
Ja. (lacht)
Erster Gedanke am Renntag?
Juhu!!!
Lieblingsferienort?
Italien.