Gsteig: ein Präsidentenamt, zwei Kandidaturen
24.05.2024 Interview, PolitikBarbara Kernen und Michael Gehret sind bereit für die Wahl zur Gemeindepräsidentin respektive zum Gemeindepräsidenten in Gsteig. Sie kandidieren für das Amt, das noch bis Ende dieses Jahres von Markus Willen ausgeführt wird. Am 9. Juni – es ist auch ...
Barbara Kernen und Michael Gehret sind bereit für die Wahl zur Gemeindepräsidentin respektive zum Gemeindepräsidenten in Gsteig. Sie kandidieren für das Amt, das noch bis Ende dieses Jahres von Markus Willen ausgeführt wird. Am 9. Juni – es ist auch Abstimmungssonntag – entscheiden die Stimmbürgerinnen und -bürger der Gemeinde Gsteig, wer ab Januar 2025 den Gemeinderat präsidieren wird. Weit weg von TV-Duell, grossen Kampagnen und bissigem Wahlkampf traf der «Anzeiger von Saanen» beide Kandidaten zum Interview. Sie und er entschlossen sich aus einem Heimatgefühl und der Motivation, mitzuwirken, für die Kandidatur. Und doch sind ihre Ansichten nicht überall gleich.
Barbara Kernen und Michael Gehret, was haben Sie mit der Gemeinde Gsteig vor, sollten Sie ins Präsidentenamt gewählt werden?
Barbara Kernen (BK): Die Gemeinde Gsteig und weiter gefasst das ganze Saanenland befinden sich in einer Phase des Wohlstandes. Mein Ziel wäre es, gemeinsam zu schauen, dass es uns weiterhin gut geht. Dabei jedoch immer mit dem Bewusstsein zu handeln, dass wir die Welt nicht im Grundsatz verändern können, aber auf veränderliche Bedingungen zum Wohl aller reagieren müssen. Auf die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zu hören, mit dem Wissen, dass wir es nicht jedem Einzelnen immer recht machen können.
Michi Gehret (MG): Ich würde mich voll in die Gemeindepolitik einbringen, in die meiner Ansicht nach eine gesunde Landwirtschaft, eine gut funktionierende Schule und der Fortbestand der Beiz gehören. Um Letzteres habe ich momentan keine Sorgen, denn der Bären in Gsteig wird rege genutzt, nicht nur, aber zum Glück auch für den gesellschaftlichen, analogen Austausch. Aus meiner Sicht wird der demografische Wandel in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren zur echten Herausforderung. Die Spirale des Fachkräftemangels wird sich weiter in die Höhe schrauben, Stellen werden zukünftig immer schwieriger zu besetzen sein. Umso wichtiger erscheint es mir, den Verwaltungsapparat möglichst klein zu behalten. Das wird in der Gemeinde Gsteig einsetzen, aber auch ausserhalb der Gemeindegrenzen für massive Probleme sorgen. Insofern schätze ich es, den Blick mitunter auch über die Grenzen hinaus zu richten, um sich anbahnende Schwierigkeiten früh zu erkennen und von vorgedachten Lösungen allenfalls zu profitieren. Ich selbst sehe mich als Bürger des Saanenlandes. Für mich liegt in der engen Zusammenarbeit der dazugehörigen Gemeinden ein noch nicht ausgeschöpftes Potenzial.
Was hat Sie dazu bewogen, sich zur Wahl in dieses Amt zu stellen?
BK: Ich bin derzeit Vizepräsidentin im Gsteiger Gemeinderat. Häufig wird die Vizeposition für die Nachfolge als Erstes angefragt. So war es auch in meinem Fall. Ich habe die Arbeit im Gsteiger Gemeinderat und mit der Verwaltung bisher als kooperativ und lösungsorientiert empfunden. Ich habe einen Einblick in das System erhalten. Natürlich entspricht nicht jede Entscheidung meiner persönlichen Überzeugung. Aber dennoch dank demokratischer Entscheidungen und des Kollegialitätsprinzips einen Beschluss fassen zu können, finde ich immer wieder faszinierend. Wenn ich diesen Vorlauf im Gemeinderat nicht gehabt hätte, würde ich mir heute eine Kandidatur fürs Präsidentenamt nicht zutrauen.
MG: In der Vergangenheit wurden die Ämter im Gsteiger Gemeinderat vielfach in stiller Wahl besetzt. Ich wollte, dass die Gsteigerinnen und Gsteiger entscheiden müssen und dabei beteiligt werden, das Amt zu besetzen. Und ich sage mir, dass jede Stimme, die ich erhalte, eine mehr ist als manch anderer Gemeinderat erhalten hat.
BK: Egal wie die Sache ausgeht, ich glaube, ich spreche für uns beide, wenn ich sage, dass die Stimmen, die jeder von uns erhält, ein Zeichen für Rückhalt in der Bevölkerung sind.
Gab es einen Moment des Zweifelns?
MG: Ja, es gab schon den Zeitpunkt, an dem ich dachte, dass es vielleicht besser wäre, meine Kandidatur zurückzuziehen. Anderseits haben mir zehn Unterschriften (Anm. d. Red.: Es braucht zehn Unterschriften aus der Bevölkerung, um einen Kandidaten aufzustellen) gezeigt, dass es einen Versuch auf jeden Fall wert ist. Mir ist bewusst, dass ich als Unternehmer in dieser Entscheidung die Aussenseiterposition besetze und Bedenken durch den einen oder anderen Wählerkopf wabern, ich könnte mir mit diesem Amt einen persönlichen Vorteil verschaffen wollen. Ich kann an dieser Stelle versichern, dass mir nichts ferner liegt, als so zu handeln.
BK: Ich habe mir das lange überlegt, mich mit meinem Arbeitgeber und meinem privaten Umfeld ausgetauscht. Denn Zeit- und Energieaufwand sind nicht zu unterschätzen. In der Agenda stehen nicht nur planbare Termine drin, so wie beispielsweise das Hochwasser und der Erdrutsch im letzten Herbst. Aber am Ende brachte mich all das nicht davon ab, mich der Wahl zu stellen. Denn in dieser Position kann ich etwas bewegen und gemeinsam mit dem Gremium für das Wohl in unserer Gemeinde und Region sorgen.
Was kann Ihrer Ansicht nach Gemeindepolitik nicht leisten?
BK: Der Gemeinderat kann nicht völlig losgelöst vom übergeordneten politischen System Entscheidungen treffen. Bund und Kanton setzen klare Leitlinien, innerhalb derer sich eine Gemeinde bewegen kann.
MG: Da liegt für mich der Ursprung des Wunsches nach mehr Autonomie. Kantonale Vorgaben sind mitunter widersprüchlich gegenüber Abstimmungsvorlagen, wie wir jetzt gerade eindrücklich am Stromgesetz sehen können.
Glauben Sie, dass bisherige politische Aktivität auf Gemeindeebene einen Vorteil in der Wahl bedeuten könnte?
MG: Ja klar, wer lange in einem Rat hockt, hat bessere Chancen, gewählt zu werden – das ist doch keine Qualität. Da setzt sich Staub und Amtsschimmel an. Man arbeitet besser nach dem Lüften. Durch mein Engagement für die Schür.li und unsere Landschaft kenne ich die politischen Prozesse und weiss, dass Sachpolitik durch Leidenschaft am besten gelernt wird.
BK: Ob dieser Umstand bei der Wahl einen Einfluss hat, kann ich nicht beurteilen. Für die Fortsetzung der hängigen Geschäfte nach dem Ausscheiden des Präsidenten sind die bereits vorhandenen Kenntnisse aber sicher von Vorteil. Auch dürfte das vorhandene Wissen im breit gefächerten Tätigkeitsfeld ein Ausüben dieses Amtes erleichtern.
Unabhängig vom Ausgang dieser Wahl: Werden Sie weiterhin politisch aktiv bleiben oder womöglich sogar eine Politkarriere auf kantonaler, vielleicht sogar Bundesebene starten?
BK: Zweites kann ich ganz klar mit Nein beantworten. Es ist wichtig, dass unsere Region in Bern vertreten ist – dafür bin ich aber nicht die Richtige. Es wäre mir zu weit entfernt vom Stimmvolk. Ich wirke lieber im Kleinen. Wie meine politische Aktivität in der Gemeinde Gsteig weitergeht, wird sich zeigen, denn Ende des Jahres stehen Gemeinderatswahlen auf dem Programm. Ob ich mich bei einer Nichtwahl im Juni für eine dritte Amtszeit an diesen Wahlen im Herbst zur Verfügung stellen würde, lasse ich noch offen. Denn ich mache gern einen Schritt nach dem anderen und als Nächstes steht erst mal eine Präsidentschaftswahl vor der Tür.
MG: Klar, ich bin mit meinen beiden Organisationen, dem Hornlabel und den Schür.li weiterhin tätig. Für einen Sitz im Grossrat oder sogar im nationalen Parlament ist die Randlage der Gemeinde Gsteig nicht von Vorteil. Es braucht viel Wille und Kenntnis, sich gegenüber dem Kanton zu behaupten, um unser Erbe und unsere Landschaft zu schützen.
HÄTTEN SIES GEWUSST?
Man kann maximal drei Amtszeiten (je vier Jahre) als Gemeinderat tätig sein. Die Präsidentin/der Präsident hat eine Amtszeitbeschränkung von vier Amtsperioden (je vier Jahre). Demnach wird die Amtszeit als Gemeinderat nicht verlängert, die Amtsdauer als Präsident wird extra gezählt. Laut OGR (Art. 35) ist es gesetzlich verankert: Der Präsident des Gemeinderates darf dieser Behörde während höchstens sieben aufeinanderfolgenden Amtsperioden angehören, davon während höchstens vier voller Amtsperioden als Präsident.
PD/JST