Die Sonne im Saanenland anzapfen
13.02.2023 Saanenland, Region, GstaadAm Freitag hat Impact Gstaad erneut nachhaltigen Innovationen eine Bühne geboten. Darunter fand sich auch ein Projekt aus und für das Saanenland. Das Vorhaben: Alpine Fotovoltaik-Grossanlagen installieren. Das Ziel: Der Region mit erneuerbarer Energie Unabhängigkeit ...
Am Freitag hat Impact Gstaad erneut nachhaltigen Innovationen eine Bühne geboten. Darunter fand sich auch ein Projekt aus und für das Saanenland. Das Vorhaben: Alpine Fotovoltaik-Grossanlagen installieren. Das Ziel: Der Region mit erneuerbarer Energie Unabhängigkeit schenken. Ein Einblick in den vierten Impact Circle Event und auf das wohl erste Kind des Nachhaltigkeitsprojekts.
JOCELYNE PAGE
Der Winter kam. Die Lichter blieben an. Die drohende Strommangellage, vor der sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft fürchteten, ist nicht eingetroffen. Die Gründe sind vielfältig, unter anderem die milden Temperaturen, die hohe Verfügbarkeit französischer Kernkraftwerke und das Rekordniveau der Schweizer Speicherstände. Aus momentaner Sicht sei die kurzfristige Versorgungssicherheit der Schweiz trotz des hohen Preisniveaus gegeben, schreibt die Eidgenössische Elektrizitätskommission Elcom in ihrem aktuellen Newsletter. Eine eigentliche Entwarnung gibt sie allerdings nicht, denn der Blick auf die geopolitischen Geschehnisse erregt Besorgnis. Kriege, Naturkatastrophen, Inflation: Alles kann sich binnen Minuten ändern, die Unsicherheiten bleiben gross.
Der Ruf nach Autonomie gegenüber dem Ausland wird immer lauter, langfristige und nachhaltige Lösungen sollen ihren Platz einnehmen. Bei der Suche behilflich ist das Nachhaltigkeitsprojekt Impact Gstaad, die zum vierten Mal ihren Impact Circle Event im The Alpina Gstaad durchführte: Eine Plattform, bei der rund 200 Teilnehmende über nachhaltige Innovationen und über die Wege zu einer grünen Zukunft präsentieren und diskutieren. In der Ausgabe vom vergangenen Freitag stand die Elektrifizierung im Vordergrund – so auch ein Projekt aus dem Saanenland.
Schatten für Kühe, Strom für Gemeinden
Nachdem das Parlament die Weichen für alpine Solarprojekte gestellt hatte, preschten Graubünden und das Wallis mit Solaroffensiven vor (siehe Kasten). Nun zieht auch das Saanenland mit und will die Gelegenheit beim Schopf packen: Die Vision von SolSarine sind dezentrale Fotovoltaik-Grossanlagen in der Alpwirtschaft: An vier bis sechs Sömmerungsstandorten sollen Solarmodule installiert werden, die erneuerbaren und einheimischen Solarstrom produzieren. Stromproduktion und Alpwirtschaft sollen koexistieren: Die Unterkante der Module befindet sich rund drei Meter ab Boden, damit Landwirtschaftsmaschinen und Nutztiere wie Kühe oder Schafe darunter passieren können; die Abstände zwischen den Modulreihen sollen an die vorliegenden Bedürfnisse angepasst werden. Die FV-Anlagen sind mit einer Antireflexschicht ausgestattet, um zum einen das Landschaftsbild zu schonen und zum anderen mehr Sonnenlicht in Energie umzuwandeln. Zeitgleich liefern die Installationen Schatten für die Tiere. «Bei einer Studie der Universität von Minnesota kam heraus, dass die Kühe bis zu 44 Prozent ihrer Zeit im Schatten der Solaranlagen verbracht haben. Zudem konnten sie keinen Einfluss auf die produzierte Milchmenge feststellen», erläuterte Matthias In-Albon gegenüber dieser Zeitung.
Direktzahlungen bleiben bestehen
Vor drei Monaten startete In-Albon mit Lorenz Furrer die Initiative. Sie gingen auf die Suche nach passenden Standorten und gingen auf die Landeigentümer und Alpwirtinnen und Alpwirte zu. «Wir waren überrascht über die mehrheitlich positiven Reaktionen zu unserer Vision. Klar muss man sich zuerst mit dem Gedanken anfreunden und man muss das Potenzial für die Alpwirtschaft in den nächsten 20 bis 30 Jahren erblicken. Aber sie sind vor allem willens zu helfen und auch etwas für die Region zu tun», sagte Furrer. Die Solaranlagen hätten keinen negativen Einfluss auf die Direktzahlungen für Landwirte und jeder Landeigentümer erhalte pro Standort eine entsprechende Entschädigung. Laut Initianten bestehen für bestimmte Standorte bereits Zusagen oder Vertragsdiskussionen seien am Laufen.
Ihr Ziel: 40 bis 50 Hektaren an Solarmodulen, dies entspricht 60 bis 70 Fussballfelder. «Lediglich 0,4 Prozent der drei Gemeindeflächen oder ein Quadratkilometer würde ausreichen, um den Energiebedarf der ganzen Destination zu über 100 Prozent mit einheimischem Solarstrom abzudecken», erklärte Matthias In-Albon. «Zudem haben Studien gezeigt, dass FV-Module in den Alpen bis zu 40 Prozent mehr Strom produzieren als im Mittelland, dies aufgrund der tieferen Temperaturen und der intensiveren Sonnenstrahlung namentlich durch mehr Sonnentage im Winter. «Wir erreichen damit den gleichen Output wie eine FV-Anlage im südlichen Portugal», fügte Lorenz Furrer an.
In den dringlichen Massnahmen des Energiegesetzes ist auch die Rede von subventionierten Solaranlagen an Häuserfassaden und -dächern. Haben die Initianten jemals an eine solche Solaroffensive innerhalb der Region gedacht? «Solardächer sind eine gute Sache. Aber unserer Meinung nach sprechen zwei Gründe gegen diese Art von FV-Anlagen. Zum einen ist es ein massiver Eingriff in die Architektur des Saanenlands. Dem Ortsbildschutz könnten wir nicht gerecht werden. Zum anderen würde die Organisation durch die vielen privaten Ansprechpartner und die Realisierung durch die vielen zu installierenden Anschlüsse eine Dimension annehmen, dessen Ausmass zu gross wäre. Zuletzt sind viele Dächer nicht optimal ausgerichtet», erläuterte In-Albon. Daniel A. Oechslin betonte vor den Impact-Circle-Besuchenden: «Es würde rund 40 Jahre dauern, bis alle Häuser eine Anlage besitzen. Diese Zeit haben wir nicht mehr.» Oechslin ist Verwaltungsratspräsident und Inhaber der OE-EN Holding und Schweizer Pionier im Bereich von nicht subventioniert gebauten Fotovoltaik-Grosskraftwerken. Er unterstützt das Projekt SolSarine bei der Realisierung.
Im Winter das Loch stopfen
SolSarine soll sich besonders auf den Winterstrom ausrichten, um die periodisch auftauchende Stromlücke zu schliessen. «Die Solar-Module stehen in einem bestimmten Winkel, damit der Schnee nicht haften bleibt. Ein Problem, dem man oft auf FV-Anlagen auf Dächern begegnet», erklärte Furrer. Haben die Initianten die Zusagen der Landeigentümer, lassen sie pro Standort ein Lawinengutachten erstellen und im Frühling, wenn der Schnee gewichen ist, folgen Umweltverträglichkeitsstudien. Befürchten sie Opposition aus dem Lager des Umweltschutzes?
«Es wäre illusorisch zu glauben, dass die Umweltschutzorganisationen keine Einwände anbringen werden. Wir wollen aber proaktiv auf sie zugehen und auch alle Auflagen erfüllen», führte Furrer auf Anfrage aus. «Klar ist es ein Fremdkörper inmitten der Alpwirtschaft. Wenn wir aber nachhaltige Energie produzieren wollen, müssen wir Prioritäten setzen», ergänzte In-Albon. Für die Installation der Solar-Module möchten die Intianten zudem keine grossen Eingriffe in die Natur vollziehen: Es werden beispielsweise keine Betonelemente verwendet – die Anlagen werden lediglich mit Schraubenfundamenten in den Boden gebohrt.
Der topografische Charakter des Saanenlandes spreche denn auch für die Nachhaltigkeit, erläuterte In-Albon weiter. «Unsere Alpen sind fast alle erschlossen, der Einsatz von Lastfahrzeugen ist überall möglich, was ein grosser Vorteil für die Materiallogistik ist. Zudem befinden sich in der Nähe der vorgesehenen Standorte Trafostationen (Anm. d. Red.: Transformatorenstationen, die verschiedene Spannungsebenen umspannen) und ein Mittelspannungsnetz. Die Infrastruktur ist vorhanden, grössere Eingriffe in die Natur bleiben daher aus.»
100 bis 150 Millionen Franken
Die Initianten rechnen mit einem Kostenmantel von 100 bis 150 Millionen, von denen bis zu 60 Prozent durch den Bund finanziert werden (einmaliger Afonds-perdu-Beitrag, siehe Kasten).
Aus den Reihen der Impact-Circle-Besuchenden war die Neugier geweckt. Ein Besucher fragte sogleich, wer denn das Zepter übernehmen werde, um dieses Projekt zu stemmen. In-Albon antwortete, dass das Projekt durch Impact Gstaad getragen und mit dem bestehenden Team und weiteren Partnern nun weiter ausgearbeitet und vorwärtsgetrieben wird. «Der Planungsund Bewilligungsprozess ist nicht trivial», so In-Albon. Furrer fügt hinzu: Die Gemeinde Saanen unterstützt das Projekt ideell und auch finanziell, indem sie sich an den Projektplanungskosten beteiligt. SolSarine soll das erste umgesetzte Nachhaltigkeitsprojekt aus Impact Gstaad werden. Lorenz Furrer ist Mitgründer von Impact Gstaad, in seinem beruflichen Leben ist er allerdings Unternehmer in der Public Relation und Kommunikation und agiert oft als Lobbyist, Matthias In-Albon ist Geschäftsführer der Bergbahnen Destination Gstaad AG. «Lorenz und ich haben das Projekt nicht in unserer Geschäftsfunktion in Angriff genommen, sondern aus einer privaten Initiative heraus. Zum einen fasziniert uns die Technologie, zum anderen ist es eine Herzensangelegenheit, die Region weiterzuentwickeln», erklärte Matthias In-Albon auf Anfrage. Eine weitere Besucherin meldete sich zu Wort, denn sie war erstaunt über die kurze Planungsphase, die Furrer und In-Albon präsentiert haben: Bis Ende 2025 soll das Bewilligungsverfahren und das Bauprojekt für eine erste Etappe realisiert sein – zehn Prozent der Endleistung von 74 Megawattstunden. Bis Ende 2027 sollen alle geplanten Standorte in Betrieb sein. «Ich finde ihren Zeitplan sehr ambitioniert», beurteilte die Besucherin. Furrer antwortete: «Wir müssen bis Ende 2025 einen Minimumanteil am Stromnetz haben, um vom dringlich erklärten Gesetz zu profitieren. Wenn die Verfahren nun dank dem Gesetz kurzgehalten werden können, ist es technisch machbar.» Laut Initianten kommt das Projekt bisher in Politik und Wirtschaft gut an, so auch bei Nationalrat Erich von Siebenthal (SVP/ Saanen): «Das dringliche Bundesgesetz Energie, dem ich auch zugestimmt habe, eröffnet den Bergregionen neue Ertragsmöglichkeiten. Und die Bergregionen ihrerseits werden zum Stromproduzenten für die Gesellschaft.»
Im März wird eine öffentliche Informationsveranstaltung stattfinden, bei der die Bevölkerung mehr über das Projekt erfahren wird und mit den Initianten darüber diskutieren kann.
DIE POLITISCHE SOLAROFFENSIVE
Und plötzlich ging alles Schlag auf Schlag: Das Parlament hat in der letzten Herbstsession im Eiltempo ein dringliches Bundesgesetz unter Dach und Fach gebracht, um eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren, einheimischen Energien zu gewährleisten – besonders im Winter. Die Bundesversammlung hat das Energiegesetz in mehreren Punkten abgeändert, unter anderem auch in Bezug auf alpine Fotovoltaik-Anlagen.
Dabei haben sie die Rahmenbedingungen vereinfacht, um FV-Grossanlagen in Berggebieten zu errichten. Es besteht beispielsweise
• keine Planungspflicht mehr
• der Bedarf muss nicht nachgewiesen sein
• und das Interesse an der Realisierung solcher Anlagen geht anderen nationalen, regionalen und lokalen Interessen vor.
Die Bewilligungspflicht liegt beim Kanton, obschon die Zustimmung der Standortgemeinde und der Grundeigentümer und eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorliegen müssen. Die Gesuche können bis 31. Dezember 2025 eingereicht werden, danach kommt das Gesetz nicht mehr zur Anwendung, weil es ausser Kraft tritt.
Zudem hat das Parlament einen grossen Topf an Fördergeldern von rund 3,4 Milliarden Franken bereitgestellt. Wenn eine Anlage teilweise Strom ins Netz einspeist, zahlt der Bund eine Einmalvergütung von maximal 60 Prozent der Investitionskosten aus. Und wenn die FV-Anlage ausser Betrieb genommen wird, muss sie vollständig zurückgebaut, die Ausgangslage wiederhergestellt werden.
Bei den Umweltschutzorganisationen teilen sich die Meinungen: Raimund Rodewald, oberster Landschaftsschützer der Schweiz, zeigte sich gegenüber dem Schweizer Radio und Fernsehen SRF bestürzt «über den per Notgesetz befeuerten Boom der alpinen Freiflächen-Solaranlagen». Landschafts- und Alpenschutz der vergangenen 30 Jahre seien innerhalb von wenigen Wochen ausgehebelt worden. WWF Schweiz hingegen unterstützt die Projekte, solange die Freiflächen in den Bergen naturverträglich sind, schreibt SRF weiter.
JOCELYNE PAGE
Quelle Energiegesetz: Fedlex (Publikationsplattform des Bundesrechts). Energiegesetz, dringliche Massnahmen zur kurzfristigen Bereitstellung einer sicheren Stromversorgung im Winter, AS-Referenz: AS 2022 543.