Seit über 30 Jahren musste in Gsteig niemand zur Übernahme eines Gemeinderatsamtes gezwungen werden. In dieser Zeit ist es drei Mal vorgekommen, dass innerhalb der regulären Eingabefrist keine Wahlvorschläge eingereicht wurden, doch konnten jeweils angefragte ...
Seit über 30 Jahren musste in Gsteig niemand zur Übernahme eines Gemeinderatsamtes gezwungen werden. In dieser Zeit ist es drei Mal vorgekommen, dass innerhalb der regulären Eingabefrist keine Wahlvorschläge eingereicht wurden, doch konnten jeweils angefragte Bürger:innen in Gesprächen zu einem Einverständnis bewegt werden. Aktuell hat das so nicht geklappt – der Amtszwang wurde angewendet (wir haben berichtet). Markus Willen, Gemeindepräsident von Gsteig, stellt sich unseren Fragen.
KEREM S. MAURER
Markus Willen, der Kanton Bern hat 1999 den Amtszwang abgeschafft und es den Gemeinden überlassen, ob sie an diesem festhalten wollen oder nicht. Gsteig hat jüngst zu diesem Mittel gegriffen. Ist der Amtszwang noch zeitgemäss und gerechtfertigt?
Um als Gemeinde eigenständig zu bleiben und mitbestimmen zu können, müssen die verschiedenen Ämter personell besetzt werden. Insofern ist ein Amtszwang gerechtfertigt, damit – wie aktuell – in einer Ausnahmesituation ein Gemeinderatssitz besetzt werden kann.
Was sollte jemand in seinem Rucksack mitbringen, um in Gsteig Gemeinderätin oder Gemeinderat zu werden?
Als erstes: gesunden Menschenverstand. Und die Bereitschaft, auf Gemeindeebene etwas zu bewirken. Sei dies mit neuen Ideen oder durch Mithilfe zur Bewältigung der alltäglichen Kommunalaufgaben. Und auf jeden Fall Interesse am Gedeihen unserer Gemeinde.
Wie gross schätzen Sie den Aufwand für ein Gemeinderatsamt, wenn man dieses seriös ausübt?
Dies hängt sehr stark davon ab, welche Ressorts ein Gemeinderat zu betreuen hat. Es sind im Durchschnitt zwischen fünf und zehn Prozent, wobei etwa drei Viertel ausserhalb der normalen Arbeitszeit anfallen.
Wie wird dieser Aufwand entschädigt?
Unsere Gemeinderätinnen und Gemeinderäte haben nebst Spesenentschädigung Anspruch auf eine Jahrespauschale von gegenwärtig 4500 Franken sowie zusätzlich 80 Franken pro Sitzung.
Gsteig hat aktuell 995 Einwohnende, wovon 699 stimmberechtigt sind. Bei neun Gemeinderäten kommt somit ein Gemeinderat auf 77,6 Stimmberechtigte, was einer enorm hohen Gemeinderatsdichte entspricht. Braucht Gsteig wirklich neun Gemeinderäte?
Eine Reduktion auf sieben Gemeinderäte wurde 2008 von der Gemeindeversammlung abgelehnt. Nicht zuletzt deshalb, weil mit einer geringeren Anzahl die zeitliche Beanspruchung jedes Einzelnen zunehmen würde. Ebenso ist mit neun Ratsmitgliedern die Stimme des Volkes besser vertreten.
Warum wurde gerade Cornelia Walker-Kübli ins Amt gezwungen?
Innerhalb der zur Verfügung stehenden Woche für einen gemeinderätlichen Wahlvorschlag habe ich mit acht Personen intensive Gespräche geführt und dabei von niemandem eine spontane Zusage erhalten. Nach Abwägung aller Stellungnahmen, Argumente, beruflichen und familiären Situationen sowie entsprechend dem Wunsch nach einer zweiten Frau im Gemeinderat, fiel die Wahl auf Cornelia Walker-Kübli.
Was möchten Sie der Leserschaft des «Anzeigers von Saanen» noch mitteilen?
In der Vergangenheit hat sich vorwiegend die SVP Sektion Gsteig um Wahlvorschläge bemüht. Ich möchte an dieser Stelle auch alle anderen Bürgerinnen und Bürger ermuntern, sich zum Wohle der Öffentlichkeit zu engagieren. Sei dies mit der aktiven Suche nach möglichen Kandidatinnen oder Kandidaten oder indem man sich selbst als Gemeinderatsmitglied zur Verfügung stellt. Mit der eigenen Unterschrift als Zeichen des Einverständnisses zur Kandidatur und zehn Unterschriften von Gsteiger Stimmberechtigten ist man dabei. Es wäre begrüssenswert, regelmässig Urnenwahlen zu haben.