Vor dem ÖV sind bald nicht mehr alle gleich
03.05.2024 Gesellschaft, RegionMehrfahrtenkarten, die ab Dezember 2024 verkauft werden, sollen den 13. Dezember 2025 als Ablaufdatum aufgedruckt bekommen. Nach diesem Datum werden die orangen Entwertungskästen abgebaut und die analogen Mehrfahrtenkarten und Stempelkarten sollen verschwinden.
...Mehrfahrtenkarten, die ab Dezember 2024 verkauft werden, sollen den 13. Dezember 2025 als Ablaufdatum aufgedruckt bekommen. Nach diesem Datum werden die orangen Entwertungskästen abgebaut und die analogen Mehrfahrtenkarten und Stempelkarten sollen verschwinden.
KEREM S. MAURER
Wie der K-Tipp am 27. Februar vermeldete, planen die SBB und die anderen Bahn- und Busbetriebe die Abschaffung der Karten zum Abstempeln. Es lohne sich nicht mehr, diese anzubieten – obschon im letzten Jahr über 6,3 Millionen Karten verkauft worden seien. Frédéric Delachaux von der MOB-Medienstelle bestätigt auf Anfrage dieser Zeitung: «Die zuständigen Gremien der SwissPass Allianz haben beschlossen, die nationale Entwertungspflicht zum 1. Januar 2025 abzuschaffen.» Die Entwerter würden von den Verbünden Mobilis und Libero zwar bis zum Ende ihrer Lebensdauer noch betrieben, der Kauf neuer Geräte sei jedoch nicht mehr möglich. Dafür würden elektronische Entwertungskarten von den genannten Verbünden und der SwissPass Allianz umgesetzt, so die MOB und: «Die MOB trifft keine Entscheidungen und setzt lediglich jene der Branche um.»
Konkret bedeutet dies, dass alle ab dem kommenden Dezember verkauften Stempelkarten den 13. Dezember 2025 als fixes Ablaufdatum aufgedruckt bekommen sollen. Mehrfahrtenkarten sind dann nicht mehr ein Jahr gültig, sondern je nach Kaufdatum nur noch Monate oder Wochen.
«Latente Diskriminierung»
Für die Unabhängige Beschwerdestelle für das Alter UBA hat dieses Vorhaben laut einer Medienmitteilung den «Charakter einer latenten Diskriminierung». Denn wer in Zukunft kein neueres Smartphone besitze, werde bei einer weiteren Dienstleistung im öffentlichen Verkehr abgehängt. In erwähnter Mitteilung fordert die UBA in einer zunehmend digitalisierten Welt Lösungen, «bei welchen alte Menschen nicht ausgeschlossen werden, respektive auf deren unterschiedlichen Bedürfnisse und Möglichkeiten Rücksicht genommen wird.» Obschon die altersabhängige Diskriminierung in der Bundesverfassung ausdrücklich verboten sei, wäre sie «gesellschaftlich akzeptierter als Sexismus und Rassismus», weil sie weniger offensichtlich sei, schreibt die UBA.
Unzulängliche Information
Auf Nachfrage beim Seniorenrat Saanenland sagte Präsident Ulrich Müller, dass niemand von ihnen auf dieses Vorhaben der Öffentlichen Verkehrsbetriebe angesprochen worden sei. Auch der Förderverein Pro Senectute Saanenland sei nicht auf das Thema Mehrfahrtenkarte angesprochen worden. «Ich habe das Thema an der letzten Sitzung des Seniorenrats angesprochen. Nur einer von uns hat davon etwas in einer Zeitung gelesen», so Müller. Er selbst nutze das Smartphone, um ÖV-Tickets zu kaufen, aber: «Ich weiss, dass in unserer Region viele Seniorinnen und Senioren mit Mehrfahrtenkarten unterwegs sind.» Für ihn sei es sehr wichtig, dass über solche Themen informiert werde. Ulrich Müller weist darauf hin, dass in der «Computeria» das Lösen von Fahrkarten mit dem Handy regelmässig thematisiert werde. Dennoch sei für ihn das Tempo der radikalen Digitalisierung viel zu hoch, auch würde sie mindestens zehn Jahre zu früh quasi flächendeckend eingeführt.
Auch Kinder sind betroffen
Die Abschaffung der analogen Mehrfahrtenkarte betrifft nicht nur Seniorinnen und Senioren, sondern unter anderem auch Familien mit Kindern. Denn heute können Kinder ab sechs Jahren, die zum Sport oder mal schnell zu den Grosseltern wollen, selbst eine Mehrfahrtenkarte abstempeln. Das wird in Zukunft nicht mehr möglich sein. Ab dann müssten Eltern ihren Kindern ein eigenes Handy – notabene mit Internetzugang – kaufen und auf diesem auch gleich ihre Kreditkarte hinterlegen, denn ohne geht es nicht. Personen ohne digitale Kompetenzen, ohne Ausweispapiere, Handynummer oder Meldeadresse wären auch betroffen, weil es die Mehrfahrtenkarte dann nur noch digital als Handy-App geben wird.
Ab 2035 verschärft sich die Situation erneut: Ab dann sollen Billettautomaten abgeschafft werden und damit nicht nur die Mehrfahrtenkarten.