Neue Arbeitsmodelle sind im Trend

  16.02.2024 Gstaad, Wirtschaft

Der Leistungsdruck bei Arbeitnehmenden steigt – die Burn-outs auch. Gefragt sind alternative Arbeitszeitsysteme wie etwa die Viertagewoche, welche die Work-Life-Balance fördern. In unserer Region gibt es Unternehmer, die diesbezüglich neue Wege gehen.

KEREM S. MAURER
«100-80-100» ist kein neues Modelmass, sondern ein alternatives Arbeitsmodell: 100 Prozent Lohn, 80 Prozent arbeiten, 100 Prozent Produktivität leisten. So sieht das Konzept der modernen Viertagewoche aus, die stets lauter diskutiert und in immer mehr Betrieben entweder getestet oder bereits umgesetzt wird. Während Island gemäss einem Bericht von SRF die Viertagewoche seit 2019 nahezu flächendeckend eingeführt hat, startet in Deutschland in diesem Jahr laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) ein entsprechendes Pilot-Grossprojekt. Und in Grossbritannien wurde eben das bislang weltweit grösste Experiment zur Viertagewoche ausgewertet. In der Schweiz dagegen ist die Viertagewoche noch ein eher seltenes Phänomen. Nur vereinzelt wagen sich Unternehmen an neue Arbeitsmodelle. Die Fünftagewoche mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr oder weniger 42 Stunden ist ein seit Jahrzehnten bewährtes Modell. Nur: Ist es noch zeitgemäss in einer Zeit, in der die sogenannte Work-Life-Balance immer zentraler ist und der Leistungsdruck auf Arbeitnehmende stetig wächst?


Chaletbau Matti: Idee kam von der Belegschaft

Im Saanenland gewährt beispielsweise die Chaletbau Matti Gruppe ihren Mitarbeitenden im Holzbaubetrieb seit dem 1. Juli des vergangenen Jahres in Form einer 4,5-Tagewoche einen halben Tag mehr Freizeit, allerdings bei unveränderter Jahresarbeitszeit. Die Idee für einen freien Freitagnachmittag sei von der Belegschaft gekommen, sagt Geschäftsführer Daniel Matti. «Wir haben den Ball aufgenommen, weil wir damit die Work-Life-Balance unserer Mitarbeitenden in der Werkstatt verbessern können.» Von den Mitarbeitenden habe es dazu ausschliesslich positive Rückmeldungen gegeben. «Ich kann jetzt bereits am Freitagnachmittag und am Samstag etwas mit meiner Familie unternehmen. So habe ich am Samstagabend das Gefühl, schon Wochenende gehabt zu haben – und dann kommt noch der Sonntag. Das ist sehr positiv!», sagt Stefan von Siebenthal, Projektleiter bei der Chaletbau Matti Holzbau AG. Wäre eine Arbeitszeitkürzung auf vier Tage bei vollem Lohn für Daniel Matti denkbar? «Das bräuchte noch etwas Überzeugungsarbeit, aber es wäre vielleicht einen Test wert», sagt er. Aus heutiger Sicht könne er sich dies relativ schlecht vorstellen, aber er wolle offen sein und die Entwicklungen im Auge behalten. «Mit unserer 4,5-Tagewoche wollen wir den Leuten etwas bieten und zeigen, dass wir unsere Mitarbeitenden wertschätzen», so Matti.


Spuag: Aus der Not wird eine Tugend

Michael Pfund, Geschäftsführer der Spuag in Zweisimmen, machte aus der Not eine Tugend. «Wir hatten zu viel Arbeit, zu wenig Leute und null Resonanz auf unsere Inserate», sagt er. «Wir mussten für neue Mitarbeitende attraktiver werden.» Seit Januar 2023 gewährt er nun seinen Mitarbeitenden eine Viertagewoche. Ähnlich wie bei Chaletbau Matti lässt er seine Mitarbeitenden an vier Tagen jeweils eine Stunde mehr pro Tag arbeiten. Aber: «Statt, dass wir am Freitag noch einen halben Tag arbeiten, schenke ich diesen meinen Mitarbeitenden», erklärt Michael Pfund. Damit sind seine Mitarbeitenden effektiv nur noch vier Tage pro Woche auf der Arbeit. Damit am fünften Tag der Betrieb nicht ruht, haben die einen am Montag frei, die anderen am Freitag. Im Turnus geniessen die Mitarbeitenden auf diese Weise ein viertägiges Wochenende, dann ein zweitägiges und daraufhin wieder ein viertägiges. «Dank diesem Arbeitsmodell haben wir aktuell keine Schwierigkeiten, neue Arbeitskräfte zu finden», sagt er. Und mit der daraus resultierenden höheren Motivation und den längeren Erholungspausen seiner Mitarbeiter ist Pfund überzeugt, dass sie in den vier Tagen mehr als 90 Prozent leisten. Und durch die Stunde, die täglich länger gearbeitet werde, könne er Kundenbedürfnisse bis um 18 Uhr bedienen. «Es gibt sogar Neukunden, die uns beauftragen, weil wir ein innovatives Arbeitsmodell anwenden», stellt Pfund fest. Doch wie macht er das mit den Lehrlingen, die von Gesetzeswegen an fünf Tagen pro Woche ausgebildet werden müssen? «Denen darf ich keine Viertagewoche anbieten. Aber ich kann ihnen einen halben Tag pro Woche offerieren, an dem Sie ausschliesslich für die Schule arbeiten können.»


Höhere Preise und sinkende Konkurrenzfähigkeit?

Welche Auswirkungen hätte eine Viertagewoche auf die Produktivität im Saanenland mit viel Baugewerbe und Gastronomie? Jonas Wanzenried, Inhaber der Firma Bauwerk AG und Präsident des Gewerbevereins Saanenland, befürchtet, «dass die Konsumentenpreise steigen und die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Regionen sinken könnte». Schliesslich käme eine Reduktion der Arbeitszeit um einen Tag bei gleichem Lohn einer faktischen Lohnerhöhung von rund 27 Prozent gleich. Zudem müsste mehr Personal eingestellt werden, um die Kundenbedürfnisse – im Detailhandel am liebsten rund um die Uhr – zufriedenzustellen. Dies wäre beim gegenwärtigen Fachkräftemangel nicht nur schwierig, sondern würde die Wohnungsnot im Saanenland zusätzlich befeuern. Die Vorteile einer Viertagewoche sieht Wanzenried darin, dass man mehr Zeit für Familie, Hobby und Freunde hat, und: «Mehr Freizeit könnte das Konsumverhalten steigern, was dann wiederum der Wirtschaft zugutekäme. Die Arbeitgeber könnten den Erfolg der Digitalisierung mit den Mitarbeitenden teilen. Demgegenüber stellt sich mir aber auch die Frage, ob mehr Freizeit bei arbeitsfreudigen Handwerkern und Mitarbeitenden allenfalls eine Schattenwirtschaft begünstigt.»

Welche anderen Betriebe im Saanenland wenden alternative Arbeitszeitmodelle an? Dazu sagt Jonas Wanzenried: «Da sind zum Beispiel noch die B-Solartec, die Saanenbank und es gibt noch andere. Auch im Detailhandel gibt es Anpassungen der Arbeitsmodelle. Generell ist eine grosse Bereitschaft der Unternehmer spürbar, attraktive Modelle zu bieten und auszuprobieren.»


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