Die Geheimnisse des Gstaader Dorfbrandes

  12.11.2008 Event, Kultur, Tourismus, Gstaad, Gesellschaft

 

 


Der Gstaadbrand war Thema des ersten der drei diesjährigen Abesitze. Referent Gottfried von Siebenthal griff die tragischen Ereignisse dieser in Vergessenheit geratenen Geschichte am vergangenen Mittwochabend noch einmal auf und überraschte mit wenig bekannten Einzelheiten zum Tathergang, die er vor Jahren durch Zufall erfahren hat. Dass man heute genau weiss, wie das Dorf vor dem Brand ausgesehen hat, ist ihm zu verdanken und inzwischen sind aus der Sammlung zwei Bild- und Geschichtsbände entstanden, die alles genau dokumentieren. Lange im Dunkeln tappte er allerdings, als es darum ging, herauszufinden, warum das Feuer damals ausbrach.

 

Liebeskummer führte zur Katastrophe
Profaner Liebeskummer nämlich war schuld an der grössten Katastrophe, die Gstaad je erlebte. Diese Tatsache war wohl für die Beteiligten so ungeheuerlich, dass die Geschehnisse einfach totgeschwiegen wurden. „Ich befragte alle Zeitzeugen, die ich kannte und wälzte im Archiv die „Anzeiger von Saanen“ von 1880 bis 1925 - kein Sterbenswort über Ursache und Brandstifter“, erzählte von Siebenthal. „Die alten Gstaader hatten die Geschichte mit ins Grab genommen. Durch Zufall stiess ich auf eine Tochter der „Schlüsselfigur“ des Dramas, die nicht im Saanenland lebte“, berichtete von Siebenthal, „sie verriet mir dann endlich, was damals geschah.“

Kleiner Racheakt – weitreichende Folgen
Mit „Schlüsselfigur“ meinte von Siebenthal die damals erst 48 -jährige Witwe Emilie Steffen. Sie bewohnte mit ihren fünf Kindern die rechte Seite des Hauses, das vor dem Brand an genau der Stelle stand, wo Gottfried von Siebenthal später aufgewachsen ist! Sie betrieb dort die Bäckerei ihres verstorbenen Mannes weiter. „Sie muss nicht nur wohlhabend, sondern auch sehr attraktiv gewesen sein“, erklärte Gottfried von Siebenthal. „Ein Walliser Bäckergeselle hat sich bei ihr beworben und obwohl sie dringend einen Bäcker suchte, schmiss sie ihn hinaus – weil er mehr von ihr wollte“. In derselben Nacht zündete der betrunkene Geselle den Haufen mit Holzscheiten hinterm Haus an. Er wollte eigentlich nur, dass die  Bäckersfrau anderntags kein Holz mehr zum Anfeuern des Bäckerofens hat. Dass das Feuer sofort auf die eng aneinander gebauten Schindeldächer der Häuser übergreifen würde, hatte er nicht erwartet. Der wenig später Inhaftierte erhängte sich in seiner Zelle im „Ture“ in Saanen

Das halbe Dorf vernichtet
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es 150 Bewohner in Gstaad, sie bewohnten zwei Dutzend Häuser und besassen sechs Scheunen. Im Dorfzentrum gab es ein Landschaftshaus, ein Schulhaus, zwei Wirtschaften und ein Gasthaus mit Post.
In der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 1898 verbrannten 12 so genannte Wohnstöcke, drei Scheunen und drei weitere Häuser. Insgesamt wurden 74 Personen obdachlos. Dass es keine Toten gab, sei ein Wunder gewesen, so von Siebenthal. Als die Feuerwehren der umliegenden Dörfer im Obergstaad eintrafen, brannten die Häuserreihen schon beidseitig und ein Durchkommen war unmöglich. Von der anderen Seite traf die Feuerwehr von Gsteig in nur 45 Minuten mit mehr als 80 Mann ein. In verzweifeltem Kampf wurden das Gasthaus Rössli und der Dorfplatz (heute Cheseryplatz) im Untergstaad gerettet.

Viel Stein und Metall – aus Angst
Die Zeit nach dem Brand habe die Gstaader und das Ortsbild geprägt, erklärte der Referent. Beim festen Willen, Gstaad wieder aufzubauen, hätten die Leute Zusammenhalt bewiesen. Auch die Anteilnahme und Hilfe von aussen sei gross gewesen.
Der Stil der neuen Häuser sei zwar eher von Angst geprägt, schmunzelt von Siebenthal, dem die massiven Steinhäuser mit dem vielen Metall-Accessoires, die den Ortskern immer noch schmücken, wohl nicht gefallen... Ein Mindestabstand von dreieinhalb Metern zwischen den Häusern wurde Pflicht und in regelmässigen Abständen wurden Hydranten aufgestellt.
Der „Gstaadstutz“ wurde abgetragen, damit die  Fuhrwerke auf der Hauptstrasse besser passieren konnten, und die Dorfstrasse wurde verbreitert. 1905 gab es erste Wasserleitungen..

Noch einmal Feuer
Nach dem Wiederaufbau kam die Eisenbahn nach Gstaad. Schon in ihrem ersten Betriebsjahr konnte die MOB 250000 Gäste befördern. Während die einen die Feriengäste herbeisehnten, fühlten sich andere vom Tourismus überrollt. „ Luise von Siebenthal- Raaflaub hatte beim Brand alles verloren. Um den Touristen etwas bieten zu können, ging sie nach Paris, wo sie sich zur Hutmacherin ausbilden liess. Zurück in Gstaad hatte sie mit ihrem Atelier so viel Erfolg, dass sie ihr neues Haus 1915 bereits abbezahlt hatte“, ist von Siebenthals Beispiel.
Auch der Besitzer der Pension Oldenhorn ( auf dem Oberbort), Emil von Siebenthal,  freute sich von Anbeginn über internationale Kundschaft. Es wurde Englisch, Französisch, Holländisch und sogar Russisch in seiner Gaststube parliert. Allerdings liessen die Tourismusgegner die Wegweiser und Ruhebänke, die für die Gäste aufgestellt wurden, in regelmässigen Abständen verschwinden und schliesslich wurde die Pension sogar angezündet.
Spannend gestaltete Gottfried von Siebenthal den ersten der drei Abesitze und obwohl er ein wenig „überzogen“ hatte, wollten die Leute gar nicht recht nach Hause gehen.


Oben: Nach dem verheerenden Gstaadbrand von 1898 sind vom von Siebenthal-Huus nur die Grundmauern übrig geblieben.


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