Mit Sol Gabetta im Hier und Jetzt

  24.07.2018 Saanen, Kultur, Konzert

Ein kleines Alphorn und eines aus Carbon, dazwischen ein zeitgenössisches Werk für Cello und Streichorchester: So gestaltete sich der Sonntagabend in der Kirche Saanen. Herausragend war Sol Gabettas Interpretation von Vasks Konzert für Violoncello Nr. 2.

MELANIE GERBER
«Presence» – so der Titel des Konzerts Nr. 2 für Violoncello und Streichorchester. Und präsent war auch die Solistin, die das Werk, das der lettische Komponist Peteris Vasks eigens für sie geschrieben hatte, im Rahmen des Gstaad Menuhin Festivals interpretierte. Präsent und doch in einer anderen Welt, und genau dorthin entführte sie auch das Publikum.

Die Essenz des Lebens
Sol Gabetta wartete mit geschlossenen Augen auf absolute Stille, bis sie zu den ersten Tönen ansetzte, Töne die sie mit einem knappen Bogenschlag erzeugte. Mit beinahe meditativen Bewegungen legte sie anschliessend den klanglichen Boden für das Werk, das nebst aleatorischen Elementen aus der zeitgenössischen Musik vor allem an Filmmusik erinnerte, an Heldenreisen und Erzählungen von Krieg, Liebe und der Grundessenz des Lebens. Sehnsuchtsmotive führten durch das Stück, erinnerten an geführte Schlachten, und sei es auch nur im Kopf des Zuhörers. Gedanken und Bilder bauten sich, wie das Stück selbst, Satz für Satz aus dem Nichts auf und verschwanden wieder ins Nichts. Und dazwischen? «Presence».

Das Alphorn in zwei Varianten
Als weiterer Solist trat Olivier Darbellay mit dem «corno pastoricio» auf, einem etwas kleineren Alphorn, das nicht oft in einem Konzertsaal zu sehen sei, so Darbellay. In Leopold Mozarts «Sinfonietta pastorella» kam dieses Hirtenhorn mit den vier erzeugten Tönen in immer wieder neuen Reihenfolgen zur Geltung. Für die angekündigte Zugabe brachte der Solist etwas auf die Bühne, das aussah wie ein abgebrochenes Stück eines Alphorns. Mit Schwung liess er es vor den Augen des Publikums in ein komplettes Alphorn ausfahren und spielte dann auf diesem Instrument aus Carbon ein jazziges Stück mit dem Titel «Alpine Sketch».

Ein eingeschweisstes Team
Begleitet wurden die beiden Solisten von den Streichern des Kammerorchesters Basel. Dass die Musiker ein eingespieltes Team sind, kam deutlich zum Ausdruck. Die Blicke waren stets auf den Konzertmeister Daniel Bard gerichtet, der den einzelnen Registern mit kaum sichtbaren Zeichen die Einsätze gab. Ihr volles Können zeigte das Kammerorchester im zweiten Teil des Konzertabends, als die Streicher um Bläser und Perkussion erweitert wurden und zu Wolfgang Amadeus Mozarts «Posthornserenade» ansetzten. Als im Kopf noch Vasks erst dreijähriges Stück nachklang, versetzte das Kammerorchester die Zuhörenden mit einem Schlag zurück in die Zeit der Wiener Klassik, und als die Stimmführer sich mit ihren Soli abwechselten und überschnitten, glaubte man beinahe, in einem Salon anno dazumal zu sitzen und zuzuhören, wie die neusten Neuigkeiten über das Leben am Hof ausgetauscht wurden.

Die Spielerinnen und Spieler überzeugten nebst ihrer Professionalität mit einer grossen Natürlichkeit, die sie nahbar erscheinen liess. Die ausgetauschten Blicke, das Lächeln, wenn einem Musiker eine Passage besonders am Herz lag, aber auch die kleinen Gesten, mit denen sie noch während des Spiels miteinander kommunizierten, zeigten, dass professionelles Musizieren doch nicht nur Hochleistungssport ist.


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