«Wir nehmen die Fakten auseinander»

  30.08.2019 Gstaad, Kultur, Bildung

Die Prima-Klasse des Gymnasiums in Gstaad wird am diesjährigen Gstaad Forum für Kultur zum Thema Künstliche Intelligenz neben Cracks auf dem Podium stehen. Wir durften fünf Philosophieschülerinnen während zwei Lektionen beim Denken zuhören.

SARA TRAILOVIC
«Es ist unsere Zukunft. Ich glaube nicht, dass wir diese Entwicklung rückgängig machen können.» – «Künstliche Intelligenz macht mir schon ein wenig Angst, vor allem Kriegsroboter. Ich meine, die müssen ja sehr ganzheitlich funktionieren, wirklich fast wie ein Mensch. Und da kann man vielleicht nicht mehr einfach den Stecker ziehen.»

Zusammen mit ihrem Lehrer Thomas Abplanalp bereiten sich fünf Philosophieschülerinnen auf das Gstaad Forum für Kultur vor. Dort werden sie dem Publikum nämlich während zirka acht Minuten einen Anwendungsbereich der Künstlichen Intelligenz näherbringen und bei der anschliessenden Podiumsdiskussion auf Augenhöhe mit Experten/innen aus Informatik, Wirtschaft, Kultur und Philosophie mitreden. Der «Anzeiger von Saanen» besuchte die erste Vorbereitungslektion der Schwerpunktfachklasse PPP (Philosophie, Psychologie und Pädagogik) am Gymnasium in Gstaad.

KI ist bereits überall
Die Gymnasiastinnen der Prima-Klasse haben sich vor der Lektion bereits im Internet schlau gemacht, wo KI im Alltag angewendet wird. «Es gibt einen Roboter, der die ganze Hausarbeit selbstständig erledigen kann. Wenn die Kinder heimkommen, dann steht das Essen auf dem Tisch. Und den Abwasch macht er danach auch gleich», weiss eine Jugendliche. Eine Mitschülerin steht an der Tafel und fügt den Bereich «Hausarbeit» zum Mindmap hinzu, bevor die nächste Entdeckung kundgetan wird. «In den USA haben sie einen Supermarkt eröffnet, in dem man geldlos einkaufen kann. Der Kunde loggt sich beim Betreten ein, dann nimmt er alles, was er will mit nach Hause und bekommt dann die Rechnung auf das Smartphone geschickt.» Eine andere Schülerin hat einen Artikel über eine neuartige Sport-Software gefunden. Anhand der Haltung des Spielers, der Reaktion des Publikums und des Punktestands erkennt diese Schlüsselmomente während eines Tennisspiels und kann so die Aufgabe des Pausenkommentators übernehmen. «Die schnellste Maschine löst den Rubik’s Cube in 0,38 Sekunden», staunt eine Jugendliche und zeigt das Youtube-Video dazu. Und der schnellste Mensch? 3,47 Sekunden.

Das Menschliche ist gesucht
«KI wird in allem besser sein als wir», sagt Thomas Abplanalp leicht provokant. «Spezialisierte Roboter können sicher besser sein in der jeweiligen Tätigkeit», entgegnet eine Schülerin, «aber wird es einen Roboter geben, der als Gesamtpacket so gut und vielseitig funktioniert wie ein Mensch?» Tatsächlich gibt es bereits sehr soziale Maschinen, eine Art Freundschaftsroboter, denen wir von unserem Tag erzählen können und die uns in jedem Fall akribisch zuhören und eine vernünftige Antwort finden.

«Was zeichnet den Menschen also aus?» Diese Frage stehe immer im Zentrum, erklärt der Philosophielehrer. Wie viel Prozent eines Menschen kann durch Maschinelles ersetzt werden, sodass dieser überhaupt noch als Mensch gilt? Was ist der Mehrwert des Menschlichen? Fragen wie diese werden am Gstaad Forum für Kultur vor allem von den beiden Philosophen Adriano Marino und Prof. Dr. Catrin Misselhorn abgehandelt.

«Lehrer werden überflüssig sein»
Für die Schülerinnen heisst es also, einen Themenschwerpunkt zu setzen. Mittlerweile steht ein ganzes Netz an der Tafel. Die Entscheidung fällt nach einigem Hin und Her auf einen naheliegenden Bereich: die Schule.

Wo wird Künstliche Intelligenz im Schulalltag bereits angewendet, welche Technologien stehen in der Entwicklung und was sind die Chancen und Risiken davon? Wird es Schule in der jetzigen Form noch lange geben? «Lehrer werden überflüssig sein», meint Thomas Abplanalp. Die Schülerinnen runzeln die Stirn, und dann: «Aber das würde ja die Schule an sich überflüssig machen. Wir gehen zur Schule, um später einen Beruf zu haben, den wir bis zur Pensionierung ausüben können. Aber wenn alle Berufe von der KI übernommen werden können, was machen wir dann mit unserem Leben?» Guter Punkt. Der Sinn der Bildung müsste klar ins Visier genommen werden.

In den laufenden Wochen bis zur kulturellen Tagung im Menuhin-Festivalzelt werden die Jugendlichen Fakten zusammentragen. «Wir wollen schnell zur philosophischen Arbeit kommen», sagt der Lehrer. «Das heisst, wir nehmen die Fakten auseinander und hinterfragen alles bis ins letzte Detail», präzisiert eine Schülerin. Das ist eine klare Ansage.

Das grosse Zelt wartet auf sie
Eine oder zwei Schülerinnen der Philosophieklasse werden am Forum für Kultur während zirka sieben Minuten die Ergebnisse der Recherchearbeit zum Thema KI an der Schule präsentieren. Und bei der abschliessenden Podiumsdiskussion der Tagung werden ein oder zwei Jugendliche aus der gesamten Prima-Klasse mitdiskutieren können. Denn die 18 Schülerinnen und Schüler beschäftigen sich im Geschichtsunterricht bei Branka Fluri mit den drei grossen Revolutionen der Menscheitsgeschichte – der Neolithischen, Industriellen und der Digitalen Revolution. Also damit, wie es überhaupt so weit kommen konnte, dass Homo sapiens strombetriebenen Maschinen Verstand einhauchen kann und will.

«Wir nehmen die Fakten auseinander»
Am Ende der Lektion ist es ruhiger im Schulzimmer. Alle sind vertieft am Recherchieren. Bei der Frage, was sie machen würden, wenn die Gymnasiastinnen nur noch Freizeit hätten und jeder Beruf von Maschinen übernommen würde, heben sie den Blick und denken kurz nach. Eine Schülerin antwortet: «Zuerst einmal den Interessen nachgehen. Aber das wäre auch nicht lange lustig.» Eine andere: «Wohl auf den Mount Everest steigen.» Auch wenn ein Roboter das viel schneller machen könne? «Ja, es macht doch nicht glücklich, wenn wir einfach alles den Robotern überlassen.»


Drei Fragen an Bruno Bader

SARA TRAILOVIC

Bruno Bader, Sie sind für das Programm des Vereins Gstaad Forum Kultur verantwortlich. Warum haben Sie das Thema Künstliche Intelligenz (KI) gewählt?
Weil sich viele der Tragweite der Technologie nicht bewusst sind. Sie prägt und verändert unser Leben bereits massgeblich. Sobald ich im Internet unterwegs bin, Ferien buche, die Cumulus-Karte durch den Scanner ziehe oder ein Smartphone bediene, werde ich von der Künstlichen Intelligenz begleitet und auch beeinflusst. Wenn ich im Internet unterwegs bin, wird mir meistens nur noch gezeigt, was mir basierend auf Datenauswertung gefällt.

Früher hiess die Tagung Forum für Glaube und Kultur. Was hat KI mit Glauben zu tun?
Das Thema der Tagung muss sich nicht hauptsächlich mit Glaube und Religion befassen. Aber natürlich verlangt Künstliche Intelligenz ethische und philosophische Hinterfragung. Der Mensch kann sich durch die Technik immer weiter optimieren. Wissenschaftler sprechen davon, dass wir eines Tages unsterblich werden könnten, fast wie eine Art Gottheiten. Es stellt sich also die Frage, ob wir das wirklich wollen.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Experten ausgewählt?
Cracks aus der Wirtschaft, Medizin und Popkultur werden über die konkreten Anwendungen und Chancen der Künstlichen Intelligenz sprechen. Ein Philosophe und eine Philosophin werden hingegen die ganze Entwicklung zusammen mit Schülerinnen und Schülern kritisch hinterfragen. Das Forum soll insgesamt aufzeigen, wo Künstliche Intelligenz in unserem Alltag im Saanenland Anwendung findet.


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