Packender Violinezauber

  18.08.2020 Saanen, Kultur, Konzert

Als weiteren Leuchtpunkt zum «Kosmos Beethoven» steuerten die Violonistin Patricia Kopatschinskaja und der finnische Pianist Joonas Ahonen ein absolut zu Herzen gehendes Programm bei: zwei grosse Sonaten des gefeierten Komponisten und dazu als Gegensatz oder Ergänzung zwei Werke der moderneren Komponisten Schönberg und Webern.

KLAUS BURKHALTER
Patricia Kopatschinskaja malte vorgängig in ihrem Interview ein wunderbares Bild sowohl ihres Gemütszustandes als auch jenes des Publikums in der momentanen Zeit: Wir haben alle richtig Hunger nach Kultur. Die Geigerin kann nicht leben ohne ihre Musik, sie sucht Anschluss an die Zuhörerschaft. Ohne diese Lebensbereicherungen würden wir alle verwelken wie Pflanzen ohne Wasser.

In Saanen konnten nun alle diese Bereiche etwas gestillt werden. Kopatschinskaja und Ahonen erzählten Geschichten, sie suchten mit ihren ausgewählten Werken den Anschluss ans Publikum. Dieses sollte auch Neues erfahren mit «musikalischen Bomben». Es gehört zu der Geigerin, dass sie musikalische Gegensätze sucht, dass sie neue Klänge vermitteln will, die ihren Konzerten zusätzliche Würze verleihen. Mit Arnold Schönbergs Fantasie op. 47 und Anton Weberns vier Stücken op. 7 erfüllte sie sich diesen Wunsch aufs Eindrücklichste. Das Werk zu Beginn bezeichnete Kopatschinskaja als «schöne Braut», die Webern-Stücke als Diamant der Musik, übermenschlich-mystisch, wie ein Traum.

Fast nahtlos gingen die modernen Stücke in die Beethoven-Sonaten über und man fühlte sofort, dass diese um 1800 entstandenen Werke hier eine neue Deutung erfuhren. Die Künstler strebten an, die Idee zu vermitteln, dass Beethoven unter uns wäre, gleichsam ein Zeitgenosse. Kopatschinskaja hat das Gefühl, dass das Wilde, Ungestüme in Beethovens Werken heute abgerundet, ja «weich gespült» werde. Dies wollte das Duo unter allen Umständen vermeiden. Und wie es dies tat!

Interpretationen von höchster Qualität
Von Beginn weg zündete Kopatschinskaja ein Feuerwerk an technischen Finessen, an zartschmelzenden Tönen, immer im Einklang mit dem ebenfalls phänomenalen Pianisten Joonas Ahonen. Die Geigerin lebte ihre Musik auch in ihrer Mimik oder den oft tänzerischen Bewegungen. Die Freude und der Genuss war beiden Ausführenden anzusehen und übertrug sich auf das staunend und gespannt zuhörende Publikum, das ständig mit neuen Überraschungen konfrontiert wurde. Die Virtuosität der Violinistin kennt keine Grenzen: Atemberaubend waren ihre Doppelgriffe, ihre Arpeggien, Staccati oder Flageoletttöne, ihre übersprudelnden oder sehnsuchtsvollen Melodiebögen, ihre dynamischen Gegensätze vom überbordenden Fortissimo bis zum fast unhörbaren Bogenstrich bei Weberns Stücken. Von dessen Schülern wurden sie scherzhaft als «Pensato» bezeichnet. Haben die drei Komponisten des Abends ihre Werke wohl je in solch ausserordentlichen Interpretationen erlebt? Sie hätten ihre helle Freude gehabt!

Die Beethovensonaten erklangen in neuem Licht. Sie sind ursprünglich für «Pianoforte und Violine» gesetzt, so erhält auch das Klavier seinen grossen Anteil, und der Einklang der beiden Instrumente zeigt sich in jeder Phase. In der Sonate c-moll op. 30 erlebte man äusserst zarte, empfindsam-liebliche Passagen, aber auch ein tänzerisches Schauspiel im Scherzo mit atemberaubender Bogentechnik. Die Kreutzersonate Nr. 9 A-Dur op.47 ist bei allen Violinisten als das Bravourstück bekannt und oft gemieden. Es galt lange Zeit als unspielbar. Man findet den Titel sogar in der Literatur, z.B. bei Tolstois gleichnamiger Erzählung oder … bei Franz Hohler. Nach den ersten Aufführungen, so erzählte Kopatschinskaja, hätten Kritiker geschrieben, es handle sich hier um «artistischen und ästhetischen Terrorismus». Umso mehr packte die kaum zu überbietende Interpretation des Duos, der ungeheuren Beweglichkeit einer «Teufelsgeigerin» oder eines Klavierzauberers gleich.

Recht gediegen – vorgeschriebene Begeisterungsstürme erwirkten eine feine Zugabe mit einem Nocturne von John Cage, bevor das Künstlerpaar auf leisen Sohlen davonschlich.

Ein herzlicher Dank gehört der Betreuercrew in der Kirche, welche umsichtig und ruhig die Zuhörerschaft mit den geforderten Vorsichtsmassnahmen betreute.


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