Mit Stirnlampen auf Erkundungsreise durch Zeit und Raum

  19.11.2021 Saanen, Brauchtum, Kunst

Die Museumsnacht diesmal ganz anders …

SONJA WOLF
Absolute Dunkelheit breitet sich aus, seltsame Geräusche quillen aus Ecken und unter Möbelstücken hervor, bleiche Gestalten in historischen Kostümen tauchen an verschiedenen Stellen des Museums auf. Was ist los, ist hier der Strom ausgefallen? Mitnichten! Das Museum der Landschaft Saanen hat zur Museumsnacht am vergangenen Freitag kurzum den Strom abgestellt. «Es ist ein komplett anderes Erlebnis, einmal nicht das Gesamtbild eines Ausstellungsraumes zu sehen. In der Dunkelheit wird der Fokus auf die Details gelenkt, welche die Besucher selbst erkunden und anleuchten möchten», beschreibt Betriebsleiterin Regula Hauswirth das Konzept des Abends. Was übrigens grossen Anklang bei den Museumsgängern fand, die sich bestens gewappnet ins Abenteuer stürzten: Ein wie die Orgelpfeifen aufgestellter Erkundungstrupp von vier Geschwistern hatte sich Headlamps um den Kopf geschnallt, andere tappten vorsichtig mit Taschenlampen oder der entsprechenden Applikation ihres Handys durch die leicht gruselig anmutenden Räume.

Historische Schnitzeljagd
Aber nicht genug damit, dass man sich seine Sicht auf die Exponate aktiv erkämpfen musste – nein, man sollte sogar noch Aufgaben lösen! Freundlich wurde einem beim Empfang Fragebogen und Bleistift in die Hand gedrückt mit der hilfreichen Instruktion, dass die Antworten jeweils in unmittelbarer Nähe eines Geräusches zu finden seien. Und tatsächlich: Im Holzbearbeitungsraum tönte einem ein charakteristisches Holzhobeln entgegen, im Schulraum erklang fröhliches Schülerstimmenwirrwarr. Die Geräuschkulissen kamen in Dauerschleifen von Laptops, die jeweils geschickt in unmittelbarer Nähe der zu erratenden Objekte versteckt waren.

Um schliesslich die richtige Antwort für seinen Schnitzeljagdbogen zu finden, musste der geneigte Besucher dann schon sehr genau alle Wände und Winkel ausleuchten. Knabberten jetzt vier oder fünf Plüschmäuse im Vorratsraum an den verschiedenen Getreidesäcken? Wo finde ich die Rossignol-Ski, die mir den Sieger des WM-Riesenslaloms von 1997 in Sestriere enthüllen?

Es war einmal …
Die Highlights des Abends – in der Dunkelheit des Museums auch im wahrsten Sinne des Wortes – waren drei Erzähler mit ihren Laternen. Diese gaben in verschiedenen Räumen Gedichte, Sagen und Legenden zum Besten.

In der Museumswohnstube sass Margit Brand unter dem Gemälde des Lauener Dichters Gottfried Reichenbach, bekannt auch als «ds Kanoni» oder «Der Sänger vom Wildhorn». Die Besucher durften es sich kuschelig vor dem geheizten Ofen gemütlich machen und einigen seiner eindrücklichen Gedichte lauschen. Gedichte aus seiner Jugend, seinem Leben als Knecht, wie es ihm nie recht gelang zu heiraten und wie er letztendlich zum Trinker wurde. «In seinen Spottgedichten hat er zwar niemanden beim Namen genannt, jeder hat aber genau gewusst, wer gemeint war», so erklärte die Erzählerin die grosse Beliebtheit des Dichters, der übrigens das zweitjüngste von 17 Geschwistern war.

Einen Stock höher, im Themenbereich der Alpwirtschaft, hatte sich Verena Hauswirth im traditionellen Bäurinnenkostüm niedergelassen und erzählte die Sagen vom Untier am Arnensee und vom «Britschenmandli» von der Staldenalp. Auch konnte der interessierte Besucher erfahren, was eine Sage überhaupt ist und wie sie entsteht.

Im Glockenraum inmitten von Schopferglocken erzählte Heini Hauswirth die Legende vom heiligen Theodul, der auch Joder genannt wird. Der legendäre Bischof ist der Patron des Kantons Wallis, des Viehs, der Glocken und Glockengiesser. «Der Teufel warf aus Zorn über sein Versagen die Glocke auf einen Stein, sodass sie in tausend Scherben zersprang!», ist nur ein kleiner Teil aus seiner spannenden Erzählung. Die Kirche in Gsteig ist übrigens St. Joder geweiht. Dort hängt die Joderglocke im Kirchturm. Auch in der katholischen Kirche von Gstaad ist der Heilige in einem Kirchenfenster zu sehen.

Und wer trotz Adleraugen nicht alle Antworten auf die Fragen gefunden hat? Kein Problem – in der Kaffeestube am Ende der Ausstellung gab es die Lösungen und obendrein Äpfel und Schoggi als kleine Belohnung für die tapferen grossen und kleinen Schnitzeljäger.

Neues Konzept im Alleingang
Die rätselhafte Museumsnacht im Dunkeln hatte das Museum der Landschaft Saanen im Alleingang konzipiert. Es war dieses Jahr nicht Teil der gemeinsamen Museumsnacht mit den Museen des Pays-d’Enhaut und des Greyerzerlandes wie in den Vorjahren. Regula Hauswirth zieht ein positives Fazit: «Wir wollten bezüglich Sprache und Kultur dieses Jahr die hiesige Bevölkerung stärker ansprechen.» Dies scheint gelungen, alle Besucher tappten entspannt im Dunklen. «Ich habe den Eindruck, das Konzept hat gefallen. Nächstes Jahr wollen wir so fortfahren und lassen uns sicher wieder etwas ganz Besonderes einfallen.»


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