Zum Finale singen Geige und Klavier

  14.01.2022 Kultur, Volkswirtschaft, Tourismus, Saanen

Das 16. Gstaad New Year Music Festival stand ganz im Zeichen des Gesangs. Von den geplanten zwölf Konzerten waren neun dem ursprünglichsten aller Instrumente gewidmet. Zwei Konzerte mussten pandemiebedingt abgesagt werden. Eine gewisse Improvisationsgabe verlangte auch das Abschlusskonzert mit dem Geiger Pinchas Zukerman und der Pianistin Olga Sitkovetsky.

ÇETIN KÖKSAL

Duo anstatt Trio – Cello ist positiv…
Die erfahrenen Musiker Zukerman und Sitkovetsky eigneten sich zweifelsohne, um das diesjährige Festival mit einem Nachmittagskonzert in der Kirche Saanen abzuschliessen, obwohl ursprünglich vieles anders geplant war. Die beiden wären eigentlich zusammen mit der Cellistin Amanda Forsyth, der Ehefrau von Pinchas Zukerman, für das Konzert am Dienstagabend eingeplant gewesen. Dieser winzige Plagegeist, der uns das Leben seit zwei Jahren immer wieder schwer macht, nahm jedoch auf die Programmation keine Rücksicht. Amanda Forsyth konnte gar nicht auftreten und Zukerman und Sitkovetsky durften erst am darauffolgenden Samstag. Demzufolge mussten die Stücke mit Cello von Glière, Saint-Saëns und Beethoven ersetzt werden.

Musizieren unter Freunden
Anders waren nicht nur das Programm und die Besetzung, auch der Konzertablauf war ungewohnt. Zukerman fühlte sich in der Kirche Saanen offensichtlich so wohl, dass dem Besucher fast so war, als würde er auf ein Hauskonzert eingeladen. Der weltberühmte Geiger stand bereits vor Konzertbeginn in der Kirche, hielt ein Schwätzchen hier und da, spielte sich immer wieder kurz ein, oder unterhielt begeisterte, ältere Damen mit Charme und Humor. Irgendwann signalisierte das Dimmen der Beleuchtung, dass das Konzert jetzt eigentlich beginnen könnte, worauf Zukerman gemütlich auf die Bühne spazierte und das Spiel begann. Sitkovetsky und Zukerman eröffneten mit einer Mozart-Sonate, wobei augenblicklich auffiel, dass Olga Sitkovetskys zurückhaltende, diskrete Art sich musikalisch nicht im Geringsten hinter dem berühmten Geiger verstecken musste. Im Gegenteil, die Pianistin überzeugte durch reife, fein austarierte Interpretationen und präzise Technik, gerade auch im Scherzo von Brahms der FAE-Sonate (Frei, aber einsam). Robert Schumann hatte in den 1850er-Jahren die Idee, dem damals berühmten Geiger Joseph Joachim eine Sonate zu widmen, welche von verschiedenen Komponisten geschrieben wurde. Den ersten Satz (Allegro) übernahm Albert Dietrich, ein Schüler von Schumann. Den zweiten und vierten Satz (Intermezzo, Finale) komponierte Schumann selber, den dritten Satz (Scherzo) überliess er dem jungen Brahms. Das Motto «Frei, aber einsam» entsprach der damaligen Devise des Geigers Joachim. Angeblich habe dieser mühelos erkennen können, wer welchen Satz komponiert habe …

Frühling, «Sicilienne» und Fazit
Die sogenannte «Frühlingssonate» von Beethoven ist vermutlich eines der meistgespielten Werke für Klavier und Geige. Ja genau, für Klavier und Geige, nicht Geige und Klavier, wie Zukerman in seiner wiederum launigen Ansprache betonte. Der berühmte, extrovertierte Solo-Stargeiger war nun also durch den mächtigen Beethoven gezwungen, gewissermassen die zweite Geige zu spielen, und die unglaublich versierte, verdiente und von unzähligen Streichern hochgeschätzte «Begleiterin» übernahm die Führung – welch amüsante, augenzwinkernde Ironie. In der «Sicilienne» von Maria Theresia von Paradis war die Rollenverteilung dann wiederum traditionell, wobei Pinchas Zukerman vielleicht sogar seinen Höhepunkt des Konzerts hatte. Das erstaunlich zahlreich erschienene Publikum dankte mit vollem Applaus und die Organisatoren waren erleichtert und froh, dass das Festival trotz aller Widrigkeiten stattfinden konnte. Ungefähr 2000 Zuhörer besuchten die verschiedenen Konzerte, was für dieses kleine, feine «Boutique-Festival» unter den gegebenen Umständen eine respektable Anzahl ist. Gespannt darf man sich auf die 17. Festivalausgabe freuen – welche musikalischen Schmankerl Caroline Murat wohl präsentieren wird?


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