Das Festivalzelt wird zum Opernhaus

  15.08.2022 Kultur, Kultur, Gstaad, Musik

Mit der konzertanten Aufführung der Oper «Fidelio» wurde dem Markenzeichen des diesjährigen Menuhin Festivals, «Wien und Beethoven 250», ein weiteres Glanzlicht beigefügt. Eine hochkarätige Besetzung unter der befeuernden Leitung von Jaap van Zweden vermochte das Publikum in ihren Bann zu ziehen.

KLAUS BURKHALTER
Hatte man sich von den chaotischen Verkehrsverhältnissen bei der Anfahrt erholt und an die Hitze im Festivalzelt einigermassen gewöhnt, durfte sich jedermann an einer hervorragenden «Fidelio»-Inszenierung erlaben. Und diese war sehr geschickt und für alle verständlich aufgebaut: Beethovens Musik auf der einen, die Texte aus «Roccos Erzählung» von Walter Jens auf der andern Seite ergaben ein spannendes Miteinander auf zwei zeitlichen Ebenen. Dem Kerkermeister Rocco kommt in dieser Fassung ohne Bühnenbild und Kostüme eine zentrale Bedeutung zu, wenn er das Geschehen der Opernhandlung im Rückblick reflektiert, kommentiert und sein eigenes Verhalten damit erklärt. Schauspieler Peter Simonischek vermochte mit seiner packenden, eindrücklichen Erzählkunst diese Verbindung zur Musik bestens herzustellen.

Beethovens Oper im Laufe der Zeit
«Fidelio», die einzige Oper in Beethovens Schaffen, erlebte seit ihrer ersten Aufführung in Wien manche Veränderung bis zu der heutigen gebräuchlichen Fassung, welche natürlich unter allen Regisseuren unterschiedlichste Inszenierungen erfährt. So lässt sich auch eine konzertante Aufführung «à la mode de Gstaad» bestens vertreten. Und inhaltlich passt das Werk in vielen Bereichen in unsere Zeit. Damals, in der napoleonischen Epoche, standen viele europäische Länder in Flammen, gab es Despoten – und heute? Parallelen vom üblen Gouverneur Pizarro zu heutigen Machthabern tauchen auf …

Die Premiere in Wien 1805 wurde ein vollkommener Misserfolg. Sofort kürzte Beethoven sein Werk und brachte es ein Jahr später als «Leonore oder der Triumph der ehelichen Liebe» erneut auf die Bühne. Auch diese Fassung hatte nicht lange Bestand. Nur acht Jahre später erfolgte nach langer Überarbeitung unter dem Titel «Fidelio» die Aufführung, welche ihren Siegeszug auf allen Opernbühnen der Welt antrat.

Eine «Fidelio»-Aufführung der Superlative
Spätestens nach dem Einmarsch des riesigen Orchesters und des grossen Männerchors wurden bei den ersten mächtigen Klängen der Ouvertüre die Gedanken auf Beethovens Meisterwerk geleitet, die Musik hatte nun «das Wort». Dirigent Jaap van Zweden führte das hervorragend disponierte Gstaad Festival Orchestra souverän und bewundernswert differenziert durch alle Passagen der Oper. Er erfasste sowohl die stillen Momente wie auch die stürmischen Ausbrüche mit magistraler Zeichengebung und koordinierte das Zusammenspiel zwischen dem Solistenseptett und den Instrumenten absolut perfekt. Als Zuhörer hatte man sich zuerst etwas an die Ausgewogenheit der Klangbilder zu gewöhnen, die sich durch die Position des Orchesters und der Sängerinnen und Sänger auf der gleichen Ebene ergaben, also nicht wie in einem Opernhaus, wo die Lautstärke der Instrumente im Orchestergraben etwas zurückgestuft wird.

Ein Solistenensemble von hervorragender Qualität brachte nun das Geschehen rund um den eingekerkerten Florestan in allen Schattierungen auf die Bühne. Zunächst geht es um scheinbar Nebensächliches, wenn Marzelline, die Tochter des Gefängniswärters, und dessen Angestellter miteinander schäkern. Christina Landshamer mit ihrer ausnehmend schönen Sopranstimme und Patrick Grahl mit seinem hellen, schlank geführten Tenor verliehen ihren Partien die nötige Innigkeit. Enttäuscht muss er als Liebhaber die Szene verlassen, weil die Angebetete von einem Eheglück mit Fidelio träumt. Dieser ist aber die zum vermeintlichen Mann umgestaltete Leonore, die sich mit List Zugang zu ihrem eingekerkerten Gatten Florestan sucht. Die Rolle des Fidelio erfuhr durch die kurzfristig eingesprungene englische Sopranistin Sinéad Campbell-Wallace eine hervorragende Darstellung. Ihre Stimme brachte den ganzen Reichtum aller benötigten Ausdrucksmöglichkeiten dieser besonderen Figur mit, einen enormen Stimmumfang, hochdramatische Passagen, perlende Koloraturen und innig-lyrische Feinfühligkeit. Andreas Bauer Kanabas als Rocco verlieh seiner Rolle mit wohltuendem Timbre und grosser voluminöser Stimme die zentrale, souveräne Ausstrahlung zwischen den familiären, beruflichen und politischen Ebenen. Das bezaubernde Quartett der vier genannten Rollen im ersten Akt bleibt als musikalischer Höhepunkt der Oper haften. Der Gouverneur Don Pizarro erfuhr durch den Bariton Falk Struckmann eine ungemein stimmgewaltige Darstellung. Seine Stimme liess das Zelt erbeben, er spielte seine Rolle mit dem nötigen boshaften Ausdruck.

Im zweiten Akt erschien endlich der im tiefen Kerker gefangene Florestan auf der Bühne, dargestellt vom viel umjubelten Tenor Jonas Kaufmann. Sein erster Ton – dieser aus dem feinsten Piano bis zum Fortissimo anschwellende Ruf – rückte den Sänger gleich in ein besonderes Licht. Er spielte mit seiner Stimme, hatte unglaubliche Ausdrucksfähigkeiten, dem tragischen, doch zuletzt beglückten Ehemann seine Gestalt zu verleihen – mit Tenorklängen von Trauer bis Verzweiflung, von sanft bis wild, oft total geheimnisvoll. Schliesslich blieb es dem im rechten Moment eintreffenden Minister Don Fernando, dargestellt vom Bassbariton Matthias Winckhler, vorbehalten, die schreckliche Geschichte zu einem beglückenden Abschluss zu bringen. Mit seiner herrlichen, besänftigenden Stimme liess er den Zauber der Versöhnung ausklingen.

Was wäre aber ein «Fidelio» ohne die eindrucksvollen Chorpartien? Der Tschechische Philharmonische Chor aus Brno gestaltete seine Passagen eindringlich, ausdrucksstark, sowohl als Männer-Gefangenenchor wie auch mit den Frauenstimmen zusammen als begeisterte Schar des zum Schluss beglückten Volkes.

Die Begeisterung des Publikums kannte berechtigterweise fast keine Grenzen. Dem Beethovenfest war eine weitere leuchtende Krone aufgesetzt worden.

Das nächste Konzert des Gstaad Festival Orchestra und Jaap van Zweden findet am Sonntag, 21. August um 18 Uhr im Festivalzelt statt.


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