«Der modernste Pädagoge kam von Abländschen herunter»

  29.08.2022 Kultur, Kultur, Abländschen

«Seit ich tot bin, kann ich damit leben – geistreiche Rückblicke ins Diesseits». So heisst das Buch von Willi Näf, das der Satiriker am 2. September in Abländschen vorstellt. Unter den Gästen werden Kathrin und Anton Mosimann sitzen. Der bekannteste Schweizer Koch im Ausland hat zu Abländschen eine besondere Verbindung. Im Gespräch mit dem «Anzeiger von Saanen» erzählt er davon.

Anton Mosimann, was verbindet Sie mit Abländschen?
Zwei Freundschaften mit zwei lieben Menschen, die beide schon lange nicht mehr unter uns sind. Nämlich Erwin Allemann und Markus Stalder. Markus Stalder wird man noch kennen, zumindest dem Namen nach.

Er war Gastgeber im «Weissen Kreuz» in Abländschen in den Neunzigerjahren?
Genau, ein Koch wie ich. Und Erwin Allemann ist der Mann, der uns miteinander in Kontakt gebracht hat. Er war mein Lehrer in Nidau und hat mein Leben geprägt wie kein anderer Lehrer. Noch in der sechsten Klasse hatten wir einen Klassenlehrer der alten Schule. Der Mann hatte weder an seinem Beruf noch an den Kindern Freude. Ich erinnere mich noch, wie er uns mit einer Stange Tatzen auf die Hände verteilte. Aber in der siebenten Klasse bekamen wir dann Lehrer Erwin Allemann, und für mich war er wie ein Sonnenaufgang.

Und was hatte Allemann mit Abländschen zu tun?
Bevor er zu uns nach Nidau kam, hat er die kleine Schule in Abländschen geleitet. Der modernste Pädagoge meiner ganzen Schulzeit in den Siebzigerjahren kam von diesem so abgelegenen Weiler Abländschen herunter. Unsere Zukunft lag ihm am Herzen, er glaubte an uns und motivierte uns. Wir konnten es gut miteinander, und ich habe ihn auch in der Freizeit um Rat gefragt.

Und wie machte er Sie mit Markus Stalder bekannt?
Einige Jahre nach meiner Kochlehre hat Erwin mir von Markus erzählt, dem Wirtsbub im Weissen Kreuz, der auch bei ihm in die Schule gegangen war. Im Grunde genommen hat er mich gebeten, Markus ein wenig zu begleiten. Dann bin ich einmal in dieses Abländschen hinaufgefahren und habe Markus im «Weissen Kreuz» kennengelernt. Er hat ja dann wirklich auch Koch gelernt, in Biel.

Haben Sie mit ihm zusammengearbeitet?
Ja, drei Saisons lang, unter Otto Schlegel im Palace Luzern 1972/1973 und im Gstaad Palace 1974/1975, und dazwischen noch eine Saison im Kulmhotel St. Moritz. Vor allem bei Schlegel haben wir viel gelernt, er war eine Legende von Küchenchef.

Welche Erinnerungen haben Sie an Gstaad?
Ich erinnere mich an eine tolle und lehrreiche Saison. In der Freizeit habe ich Gstaad natürlich ein wenig kennengelernt. Allerdings habe ich sehr viel gearbeitet. Ich war damals bereits diplomierter Küchenchef, aber die Qualifikation, die mir noch fehlte, waren die Süssspeisen. Und weil ich keiner dieser Küchenchefs werden wollte, die weniger kompetent sind als ihre Patissiers, bin ich in der Küchenhierarchie noch einmal vier Stufen abgestiegen und habe im Gstaad Palace als Commis Patissier gelernt. Aber die zwei spannendsten Tage während meiner Saison in Gstaad erlebte ich in London.

Wieso das?
Ich wurde als Küchenchef ins Londoner Dorchester empfohlen, ins traditionsreichste Fünfsternhotel der Stadt. Ende Januar 1975 lud mich dann das Dorchester zum Kennenlerngespräch nach London ein, ich brauchte im Gstaad Palace also zwei Tage frei. Unsere Jahrzehnte in London haben gewissermassen in Gstaad angefangen.

Sind Sie mit Markus Stalder vom «Weissen Kreuz» in Kontakt geblieben?
Ja, wir sind Freunde geblieben. Kathrin und ich haben uns sehr gut mit Markus verstanden. Er war ein gelassener Oberländer mit der nötigen Prise Humor.

Ich habe Markus auch nach Montreal vermittelt. Ich selber hatte ja von 1966 bis 1969 im Queen Elizabeth Hotel in Montreal gearbeitet und viel gelernt.

Als Gastgeber im «Weissen Kreuz» hatte er später aber keinen Erfolg.
Aber nicht, weil er schlecht gekocht hätte. Sondern weil sein kulinarisches Konzept nicht nach Abländschen passte. In Abländschen Hummer auf die Speisekarte zu nehmen, ist recht verwegen. In Montreal hatte er natürlich gelernt, wie man einen Hummer richtig gut zubereitet. Aber Abländschen ist nicht Montreal.

Haben Sie ihm das damals gesagt?
Ja, ich habe ihm abgeraten. Hummer esse ich an der Küste, aber nicht in Abländschen, habe ich ihm gesagt. Aber er war optimistisch, wollte es probieren und die Gourmets nach Abländschen holen. Es hat mir für ihn sehr weh getan, dass es nicht geklappt hat. Etwa ein halbes Jahr vor seinem Tod haben wir uns noch mit kanadischen Kochkollegen in Charmey getroffen. Wir wussten, dass er da bereits Krebs hatte, aber auch da gab er sich optimistisch.

Heute heisst das «Weisse Kreuz» in Abländschen Berghotel Zur Sau. Was meinen Sie dazu?
Der Name war natürlich sehr gewöhnungsbedürftig. Aber wenn man heutzutage am Ende der Welt mit einem Restaurant Erfolg haben will, muss man auffallen und im Gespräch bleiben. Und wenn gute einheimische Produkte aus dem eigenen Tal auf den Teller kommen, dann kann das klappen. Kathrin und ich sind jedenfalls gespannt auf das Nachtessen. Wir mögen die einfache, authentische Küche.

Sie besuchen einen Erzähl- und Leseabend im Rahmen von Kultour Abländschen.
Ja, Willi Näf stellt sein neues Buch vor. Und den kenne ich noch besser, als ich Erwin Allemann und Markus Stalder gekannt habe, er hat nämlich vor fünf Jahren meine Autobiografie geschrieben. Wir haben mehrere Wochen in London miteinander verbracht, viel gesprochen und gelacht. Kein Wunder, ist meine Autobiografie drei Kilogramm schwer geworden.

Wieso entschieden Sie als Koch sich ausgerechnet für einen Satiriker als Ghostwriter?
Willi Näf ist ursprünglich selber gelernter Koch. Das hat mir natürlich gefallen. Natürlich war es mir wichtiger, dass er ein guter Zuhörer ist und süffig schreiben kann. Aber dass er für Giacobbo/Müller und jahrelang für Birgit Steinegger und Walter Andreas Müller geschrieben hatte, erfuhr ich erst im Lauf unserer Zusammenarbeit.

Gibt es am Erzähl- und Leseabend auch Ihre Autobiografie zu kaufen?
In den Läden ist sie vergriffen. Aber Willi will sein letztes halbes Dutzend Exemplare mitbringen, damit ich sie noch signieren kann. Er selber wird natürlich vor allem sein eigenes neues Buch signieren. Kathrin und ich waren schon vor fünf Jahren bei der Präsentation seines letzten Romans im Appenzellerland dabei. Es war ein äusserst unterhaltsamer Abend.

INTERVIEW: «ANZEIGER VON SAANEN»


BUCH VON WILLI NÄF

«Seit ich tot bin, kann ich damit leben» heisst das neue Buch von Willi Näf, das er am 2. September im Berghotel Zur Sau vorstellt. In seinen «geistreichen Rückblicken ins Diesseits» interviewt der Satiriker und Kolumnist zehn längst verstorbene historische Persönlichkeiten mit stark humoristischem Einschlag. Jedem Wortgefecht geht eine detailliert recherchierte Biografie voraus.

Zu Näfs Gesprächspartnern gehören Winston Churchill, die Jungfrau Maria oder die deutsche Grossmutter von Donald Trump, mit der er sich gehörig streitet. «Ein schräges Buch voller Witz und Charme für vergnügliche Stunden», schreibt die «Basler Zeitung», die «NZZ am Sonntag» nennt das Buch «überraschend, geistreich und unterhaltsam». Quintessenz des Buches: «Das Leben sieht doch gleich ganz anders aus, wenn man es erst einmal hinter sich hat.»

Willi Näf hat auch einen Bezug zu Abländschen: Er schrieb im Auftrag von Thomas Frei vom Bernerhof in Gstaad die 80-seitige haarsträubend/augenzwinkernden Fabel «Zur Sau – Wie das Berghotel Zur Sau zu seinem Namen kam».

PD


ANTON MOSIMANN

Anton Mosimann, 1947 als Wirtsbub geboren und in Nidau BE aufgewachsen, lernte in Twann am Bielersee Koch. Er arbeitete viele Sommer- und Wintersaisons in den Küchen edler Häuser im In- und Ausland – auch im Gstaad Palace –, bis Kochkoryphäe Adelrich Furrer, der Vater der späteren Modeschöpferin Christa de Carouge, den jungen Koch nach London empfahl.

Mit erst 28 Jahren wurde Mosimann 1975 Küchenchef im renommiertesten Luxushotel Londons, «The Dorchester» mit 130 Köchen. Er führte das Haus zu zwei Michelin-Sternen, bevor er sich 1988 in einer früheren Kirche im noblen Stadtteil Belgravia mit seinem Private Dining Club Mosimann’s selbständig machte.

Mosimann’s kochte oft für Königshaus, Regierung und Adel. Seit 2000 ist Mosimann’s königlicher Hoflieferant, der «Royal Warrant Holder to His Highness The Prince of Wales» gilt als symbolträchtigstes Gütesiegel Englands. 2004 verlieh Königin Elisabeth dem zweifachen Ehrendoktor für seine Verdienste um die britische Gastronomie den Order of the British Empire OBE. Sieben Jahre später kochte er das Nachtessen für die Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton. Ein Stück der Hochzeitstorte befindet sich in Mosimanns Museum «The Mosimann Collection» in Le Bouveret am Genfersee auf dem Gelände der César Ritz Hotelfachschule. Von den rund 6000 Kochbüchern in der Museumsbibliothek hat Mosimann 13 selber geschrieben.

Anton und Kathrin Mosimann leben seit 2022 wieder in Montreux, ihr Londoner Unternehmen wird geleitet von den Söhnen Philipp und Mark Mosimann. Die vierhundertseitige Autobiografie «Live is a circus», geschrieben von Willi Näf, ist vergriffen, letzte Exemplare sind erhältlich am 2. September im Berghotel Zur Sau in Abländschen.

PD


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote