Antina von Siebenthal – eine Schönriederin geht ihren Weg

  06.12.2019 Saanen, Kultur, Kunst, Porträt

Was bewegt eine junge Frau dazu, das komfortable Leben in der Nähe der geliebten Familie aufzugeben, nach Stockholm auszuwandern und den riskanten Weg einer Künstlerexistenz zu wählen? Antina sprach mit mir bei ihrem letzten Besuch im Sommer in Schönried darüber.

ÇETIN KÖKSAL
Wir treffen uns im Boutique Hotel Alpenrose in Schönried, wo gerade eine Ausstellung mit Antinas Bildern stattfindet. Die Künstlerin ist dafür von Stockholm angereist und freut sich über das Interesse an ihrem Schaffen. Zahlreiche Bilder haben bereits neue Besitzer gefunden. «Mit dem Erlös ist meine Existenz wieder ein Weilchen gesichert», bemerkt sie mit einem Augenzwinkern. Wir schlendern durch das Restaurant auf die Terrasse, wo wir uns an einem ruhigen Plätzchen unterhalten.

Behütete Kindheit in Schönried
Antina ist keine Person vieler Worte. Solche Treffen sind ihr eigentlich etwas unangenehm, viel lieber würde sie einfach ihre Kunst für sie sprechen lassen. Dennoch hat sie so einiges zu sagen, und wer aufmerksam ist, erfährt auch vieles.

Als älteste von drei Schwestern ist sie in Schönried aufgewachsen, wo ihre Eltern bis heute die «Alpenrose» führen. Sofort merkt man, dass ihr dieser Betrieb vertraut und ein zweites Zuhause ist. «Seit ich mich erinnern kann, verbrachte ich Zeit im Hotel, spielte mit meinen Schwestern und unseren Angestellten. Als wir dann älter waren, halfen wir bei Bedarf aus oder verdienten während der Schulferien etwas Sackgeld. Wenn man so will, lebt hier unsere erweiterte Familie», resümiert Antina. Dass dies noch immer seine Gültigkeit hat, unterstreicht folgende Begebenheit: Nach unserem Gespräch führt mich Antina durch die Ausstellung, und als wir vor ihrem Ölbild «It’s a spring thing» stehen, bemerke ich den roten Punkt, der signalisiert, dass das Werk bereits verkauft ist. Im selben Moment kommt ein langjähriger Mitarbeitender des Hotels strahlend auf uns zu und verkündet stolz: «Ich habe es gekauft, ich wollte es unbedingt haben und weiss auch schon genau, wo ich es bei mir aufhängen werde!» Immer wieder bringt Antina zum Ausdruck, wie unendlich dankbar sie ihrer Familie ist: «Meine Eltern haben mich auf meinem Weg immer unterstützt und sind – auf ihre eigene Art und Weise – auch Künstler.»

Auf der Suche …
Antinas beruflicher Werdegang führte sie nach der obligatorischen Schule für ein Jahr an die Kunstschule in Vevey. Danach zog es sie in die vertraute Hotellerie, wo sie einige Jahre an verschiedenen Orten arbeitete und sich mit dem branchenüblichen Lohn ein finanziell angenehmes Leben leisten konnte. «Wir wissen gar nicht, wie hoch unser Lebensstandard hier in der Schweiz ist», sagt sie und ergänzt, «alles ist normal und selbstverständlich.» Seit sie in Schweden lebe, falle ihr dies erst so richtig auf. Das Zeichnen und Malen begleitet Antina seit frühester Kindheit. Es ist ihr Medium, sich auszudrücken. Was andere erzählen, aufschreiben oder mit Musik sagen, teilt Antina durch ihre Malerei mit. Als wache Beobachterin geht sie durch die Welt, sammelt Eindrücke und bringt die dabei entstehenden Gefühle auf die Leinwand. Das war schon immer so. Selbstverständlich beschäftigen auch sie im Verlauf ihrer Entwicklung folgende existentielle Fragen: Wer bin ich? Was will ich? Womit will ich meine Lebenszeit verbringen und was ist mir wirklich wichtig? «Mach, was dir Freude bereitet und folge bei wichtigen Entscheidungen unbedingt deinem Herzen», so der weise Ratschlag ihrer Grossmutter väterlicherseits, welche Antina bis heute sehr nahesteht und sie auf ihrer spannenden Lebensreise immer unterstützt. Ein Schlüsselerlebnis für die junge Frau war der unerwartet plötzliche Tod ihrer Grossmutter mütterlicherseits. Antina war 25 Jahre alt, als sie sich von der ausgebildeten Bildhauerin verabschieden musste. Wie alle unter uns, die mit dem Hinschied eines geliebten Menschen klarkommen müssen, wurde auch Antina damals die Endlichkeit unserer irdischen Existenz so richtig bewusst – wir haben eben nicht alle Zeit der Welt! Umso wichtiger ist es also, dass wir die verfügbare Zeit möglichst so nutzen, dass es für uns einen Sinn ergibt. Das wurde der künstlerisch begabten Enkelin klar, als sie malend um die Grossmutter trauerte. Sie kündigte ihre Arbeitsstelle und wollte von da an tun, was sie schon immer liebte und was sie erfüllte – nämlich malen.

Künstlerin mit allen Konsequenzen
Antina betont während unseres Gesprächs, wie sehr sie ihre Heimat schätze und liebe. Besonders die Natur sei hier im Saanenland ausserordentlich schön, was einem aber erst wirklich auffalle, wenn man längere Zeit nicht hier sei. «Wenn ich aber ganz ehrlich bin, so habe ich mich bereits als Jugendliche immer etwas fremd und anders gefühlt.» Nach einer kurzen Pause fährt Antina fort: «Ich habe die beste Familie, durfte auch viel Schönes erleben, wofür ich sehr dankbar bin, aber irgendwie war es mir hier oben doch wohl immer schon etwas zu eng.» Jeder kenne jeden, manchmal habe sie sich auch beobachtet gefühlt. Ein Befreiungsschlag drängte sich also immer deutlicher auf. Irgendwann lernte die Schönriederin einen jungen schwedischen Mann kennen, und die beiden wollten von nun an zusammen sein. Antina folgte ihrem Herzen und damit dem Mann, an den sie es «verloren» hatte. So romantisch sich das jetzt auch liest, war dies eine in mehrfacher Hinsicht folgenschwere Entscheidung, denn sie bedeutete für Antina das Verlassen der Komfortzone. Der Neuanfang in Stockholm mit dem neuen Partner hiess auch, sich eine neue Existenz aufzubauen. Dabei betont sie, dass sie keineswegs dem Klischee des verwöhnten Töchterchens aus «gutem» Haus entspreche, das sich auf Kosten der Eltern als Künstlerin versucht und bei finanziellen Engpässen locker daheim um Unterstützung bittet. Nein, «ich habe mein Leben damals komplett umgekrempelt». Einen grossen Teil ihres Hab und Guts habe sie hier in der Schweiz verkauft, um mit dem Erlös die erste Zeit in Schweden überleben zu können. Denn es sei für sie klar gewesen, dass sie es unbedingt als Künstlerin versuchen wollte.» Antina erzählt weiter, wie sie sich auf einen bescheidenen Lebensstil beschränkt. «Mit meinem Freund wohnten wir zuerst in einem Studio, das am Tag zugleich mein Malatelier war. Noch heute beschränke ich mich auf das Notwendigste. Ich benötige nicht viele Kleider, muss nicht auswärts essen gehen oder teuer ausgehen. Zudem haben wir kein Auto und verreisen auch nicht oft. Ungefähr zweimal im Jahr komme ich nach Schönried – das sind meine Ferien.» Sie sei momentan glücklich so, denn sie habe alles, was ihr wichtig sei. Dazu zählen auch Musse und Zeit für Begegnungen, Beobachtungen und die kleinen, grossen Dinge des Alltags.

Farben, Vielfalt, Ausdruck
«Hast du deinen Stil noch nicht ganz gefunden?» Das werde sie manchmal mehr oder weniger diplomatisch gefragt. Antina führt die Frage auf ihre verschiedenen, je nach Situation oder Stimmung gewählten Malstile zurück. Es ärgert sie ein wenig, wenn man sie in dieser Freiheit einengen möchte. Beim Betrachten ihrer Werke fällt diese Diversität natürlich sofort ins Auge, wie auch die Liebe zu den Farben und die Experimentierfreude generell. Sie arbeite sehr intuitiv, ohne gross vorher darüber nachzudenken. Wenn die Zeit gekommen sei, dann müsse sie sich an die Arbeit machen und den Pinsel in die Hand nehmen. «Die erste Version des Bildes befriedigt mich eigentlich nie von Anfang an. Dann ergänze, übermale und korrigiere ich, bis ich wenigstens einigermassen zufrieden mit mir bin», so die Künstlerin. Auf mich wirkt ihre Kunst sehr ehrlich, direkt und im besten Sinne urtümlich. Da wird nicht zuerst minutiös geplant und abgewogen, um dann eine bereits im Kopf fein austarierte Komposition auf die Leinwand zu bringen – nein, die Eindrücke und Inspirationen wachsen und reifen in Antina, bis sie mit aller Kraft ausbrechen und sich auf der Leinwand zu Kunst ausbilden. Dabei ist jede dieser «Geburten» eine reizvolle Überraschung. Gespannt freuen wir uns auf die vielen Kunst-Kinder, die da noch kommen werden.


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