Das Festivalzelt wird zum Opernhaus

  31.08.2021 Gstaad, Kultur, Saanenland, Event, Musik

Mit Bellinis Oper «I puritani» wurde dem diesjährigen Festival ein weiterer Glanzpunkt beigefügt. Mit einem herausragenden Solistinnen- und Solistenensemble und den ausgezeichneten Orchester- und Chorinterpretationen wurde auf die umfunktionierte Bühne die eindrücklich-wirre Geschichte der englischen Religionskriege im 17. Jahrhundert gezaubert.

KLAUS BURKHALTER
Es war tatsächlich ein völlig neues Bild, das beim Eintritt in das Zelt jedermann erstaunte: Der Hintergrund entführte einen in die düsteren Gemäuer einer puritanischen Burg. Und die dunkle Atmosphäre begleitete das ganze Geschehen als Ausdruck des äusserst brutalen politischen Konflikts zwischen den republikanischen Puritanern und den katholisch-royalistischen Stuarts. Das junge Paar Elvira und Arturo geriet jedoch mit seiner Liebesgeschichte voller Leidenschaft quer durch die verfeindeten Lager in aussichtslos scheinende Situationen. Für den italienischen Komponisten Vincenzo Bellini (1801–1835) bot dieser englische Stoff die Grundlage für das, was Belcanto-Opern attraktiv macht und bei der Uraufführung in Paris anno 1835 begeistert aufgenommen wurde: Virtuose Koloraturen, Wahnsinnsszenen, grosse Choreinsätze, Tenor-Spitzentöne und dramatische Duette. Dies alles erlebte in der Gstaader Aufführung eine eindrückliche Wiedergabe und führte das Publikum im voll besetzten Opernzelt in staunende Anteilnahme.

Ein wohldurchdachter Querschnitt
Der junge Dirigent Domingo Hindoyan hatte aus dem gewaltigen Werk eine Auswahl getroffen, die das ganze Geschehen bestens zum Ausdruck brachte. Die begleitenden dreisprachigen Texte und die eindrücklichen Bühnenbilder führten die Zuhörerschaft sicher durch die Wirrnisse der dramatischen Handlung. Die Hintergrunddarstellungen illustrierten die jeweiligen Szenen, viele bleiben in der Erinnerung haften, so die Bilder von loderndem Feuer, der verwirrten Elvira, der flatternden Flügel des Todes, der weiten Landschaften oder des kahlen Waldes in gefahrvoller Zeit.

Die ausgewählten Arien, Chöre und Orchesterzwischenspiele fügten sich zu einem verständlichen Ganzen zusammen und regten sicher die Fantasie des Publikums an, sich die Szenen «in action» vorzustellen.

Die musikalische Umsetzung: ein Hochgenuss
So blieb es Domingo Hindoyan vorbehalten, die riesige Musikergemeinschaft sicher durch das Werk zu führen. Er tat dies mit leidenschaftlicher Intensität, spontan, hingebungsvoll und einfühlsam in allen Phasen. Er fügte das renommierte Orchestre de la Suisse Romande und die Sängerinnen und Sänger zur herrlich gestaltenden Einheit zusammen. Der Chor der Zürcher Sing-Akademie gestaltete seine Einsätze überwältigend. In jeder Situation eindrücklich passend, ob als Cromwells Soldaten, als Fest- oder Diener-Chor, auch als Herolde Arturos oder der Puritaner. Der Chor war ausbalanciert im Verhältnis zum Orchester. Und dieses – mit Masken spielend– bot höchste Klangkultur in allen Registern: Sowohl hervorragend gestaltend in den Streichern, als auch ausserordentlich farbig und beweglich-intensiv in den Bläsern und den Schlagzeugen. Das berückende Hornsolo des 2. Aktes tönt noch in meinen Ohren, ebenso die Harfenbegleitung zu Elviras Liebeslied.

Extreme Gesangsansprüche
Die Festivalleitung hatte in letzter Minute die beiden Hauptrollen der Elvira und des Arturo umbesetzen müssen. Sie tat dies bewundernswert, denn mit Zuzana Markova und Francesco Demuro fand sie für die Titelpartien zwei Ausnahmekünstler, welche ihre grossen Rollen vor kurzer Zeit auf andern Bühnen gesungen hatten. Beide waren absolute Gewinne für Gstaad, lebten sie ihre Figuren doch frei gestaltend, ohne Notenpult … Zuzana Markova faszinierte optisch und stimmlich: Sie deutete all ihre unterschiedlichen seelischen Zustände mit bewundernswerter Gestaltungskraft: das strahlende Glück, die Momente des Wahnsinns, der vergangenen Liebe und des freudigen Wiedersehens. Ihre Stimme ist beweglich, blendend, strahlend, koloraturen-sicher, auch einschmeichelnd und sauber in höchsten Höhen. Arturo, ihr Geliebter, stand ihr in der Darstellung von Francesco Demuro in nichts nach. Er strömte seine wahre Tenorkraft aus, sang mit schlanker Anmut und klarem Timbre. Er ist höhensicher, auch wunderbar sanft als Troubadour bei seiner Rückkehr. Der Rumäne George Petean verlieh der Rolle des Riccardo mit seinem vielseitigen Bariton all die verschiedenen Gemütssituationen vom schmachtenden und enttäuschten Liebhaber bis zum herausfordernden Rivalen auf Leben und Tod, lyrisch zart bis heldenhaft durchschlagend. Auch Erwin Schrott als der zur Versöhnung neigende Onkel Sir Giorgio sang grandios, eindringlich mit seiner samtenen Stimme in einer sonoren Mittellage. Die Duette der Männer strömten wahrlich typische, begeisternde «Italianità» aus! Die weiteren solistischen Partien waren ebenfalls ausgezeichnet besetzt und trugen zu einem wahren Fest der Stimmen bei: Annalisa Stroppa als Enriquetta, die verfolgte Königin, Antonio di Matteo als puritanischer Generalgouverneur Lord Valton und Patrizio Saudelli als Puritaneroffizier Sir Robertson.

Dass das Publikum seiner Begeisterung mächtigen Ausdruck verlieh mit tosendem, gar stampfendem Applaus, war mehr als verständlich. Es lebe die Gstaader Operntradition!


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote