Ein bescheidener Schaffer geht

  26.10.2021 Lauenen, Politik, Volkswirtschaft, Tourismus

Jörg Trachsel war neun Jahre im Gemeinderat. Ende Jahr ist Schluss. Der amtierende Gemeindepräsident zieht sich aus der Politik zurück.

BLANCA BURRI
Der Blinker ist gesetzt, der Wagen biegt in die Sonnige Lauenenstrasse ab, vorbei am Altersheim, um die Haarnadelkuve herum und dann schraubt er sich die Sunnigi Louwene hinauf. Links und rechts stehen alte und neue Chalets, allesamt blumengeschmückt, wie jenes von Jörg Trachsel. Der Gemeindepräsident wohnt auf 1374 Metern mit Weitsicht bis zum Geltengletscher, auf der anderen Seite fast bis nach Gstaad.

Werte bewahren
Der 51-Jährige ist seit acht Jahren Präsident der Gemeinde Lauenen und das noch bis Ende Jahr. Dann übergibt er das Steuer in neue, noch zu wählende Hände. Der Landwirt war ein Jahr lang Gemeinderat gewesen, bevor er 2014 Gemeindepräsident wurde. Während seiner Amtszeit lag ihm der einzigartigen Charakter von Lauenen am Herzen: die Natur, die Einfachheit und die Ruhe. In Lauenen leben viele Menschen von und mit der Natur. Die Landwirtschaft hat einen wichtigen Stellenwert und einen ebenso wichtigen das Gewerbe und der Tourismus. «Die Gäste schätzen die Art und Weise, wie wir mit der Natur umgehen», sagt Jörg Trachsel. Im Gemeindegebiet liegt ein Teil des Naturschutzgebiets Gelten-Iffigen. Selten gewordene Alpengärten mit Paradieslililen und Edelweiss blühen darin und ziehen Naturliebhaber und Wanderer an. Neben der Natur ist es die Einfachheit der Menschen, die die Gäste beeindrucken. «Die Gäste mögen den kleinen Familienskilift und einen Schwatz mit einem Einheimischen.» Und die Lauener mögen naturnahen und stillen Tourismus. «Das geht gut nebeneinander her», so der Vater dreier erwachsener Töchter. Wer Action will, einen Tag auf die Ski oder auch ein Besuch im Schwimmbad, könne dafür nach Saanen fahren. «Das Angebot in der angrenzenden Gemeinden ist gross», schmunzelt Trachsel. Dafür kämen viele Leute von dort für die Stille nach Lauenen. «Wir ergänzen uns gut und profitieren voneinander», meint er.

Entwicklung zulassen
Trotzdem hat sich die Gemeinde auf die Fahne geschrieben, sich weiterentwickeln zu wollen. Als Wohnort und als Arbeitsort. «Damit wollen wir für die Bevölkerung attraktiv bleiben», hält der Gemeindepräsident fest. Denn eine ausgewogene Gewichtung von Wohnbevölkerung und Tourismus sei wichtig. Nur wenn das Dorf lebe, ziehe es Gäste an. Das ist bisher gelungen. Bei den Touristen ist Lauenen beliebt und die Wohnbevölkerung in der letzten Dekade leicht gewachsen.

Von der grossen Schwester profitieren
Darauf angesprochen, wie das Verhältnis zur wohlhabenden Nachbargemeinde Saanen ist, sagt der Landwirt: «Wir können oft von Saanen profitieren.» Und zwar in mehrfacher Weise. Das finanzstarke Saanen leiste sich ein grosses Angebot an Dienstleistungen und eine Infrastruktur auf hohem Niveau, die auch die Lauener Bevölkerung nutzen könne. Weitere Punkte sind das grosse Know-how und die vorhandenen Ressourcen in Saanen, die Trachsel schätzt. «Wenn es in regionalen und überregionalen Dingen darum geht, sich gegen Bestimmungen des Kantons oder Bundes zur Wehr zu setzen, leistet Saanen wertvolle Vorarbeit», sagt der Familienvater. Nur manchmal bringe die Finanzstärke von Saanen auch Nachteile. «Wenn wir Einzelprojekte nach dem Bürgerschlüssel mitfinanzieren, belastet das die Gemeindefinanzen schon recht stark und wir müssen das Geld etwas zusammenkratzen», sagt er.

Herausforderungen brauchen Nerven
Zwei Geschäfte bereiteten Trachsel in seiner Amtszeit manchmal ein bisschen Bauchweh. Das Alterswohnen und das Ausscheiden von Bauland. Aufgrund der Revision des Raumplanungsgesetzes von 2014 ist das Einzonen von neuem Bauland sehr schwierig geworden. Eigentlich hat es laut Gesetz davon auf dem Gemeindegebiet von Lauenen genug. Doch einige Besitzer betrachten es als Finanzanlage oder möchten aus anderen Gründen nicht bauen. Deshalb ist es für Bauwillige schwierig, Bauland zu finden. Bisher hat die Gemeinde nicht eingegriffen, sie beobachtet die Situation jedoch. Eine «never ending story» scheint der Neubau Alterswohnen zu sein. Die Pläne wurden der Bevölkerung 2014 vorgestellt. Acht Jahre später steht auf der Bauparzelle Pfrundmatte neben dem Altersheim noch immer kein Chalet für Seniorinnen und Senioren. «Das Projekt Alterswohnen kam immer wieder ins Stocken.» Durch Einsprachen, Gewässerschutz, Gerichtsverhandlung und nun indirekt durch Corona. «Die Gemeinde kann das Zentrum nicht alleine stemmen. Wir sind auf Spendengelder angewiesen, aber wir finden die momentane Lage für Spendenanfragen nicht passend», erklärt Trachsel. «Wir denken, die Leute haben im Moment mit anderen Herausforderungen zu kämpfen», sagt er

Toleranz leben
Nach acht Jahren hat der scheidende Gemeindepräsident einen einzigen grossen Wunsch: «Ich wünsche mir Toleranz.» Und das nicht zum ersten Mal. Bereits bei einer Ansprache an einer Jungbürgerfeiern war ihm dies ein Anliegen. «Ich wünsche der Bevölkerung, dass sie trotz Meinungsverschiedenheit im Austausch bleibt und sich gegenseitig nicht abschreibt.» Das sei bei den aktuellen Themen wie Impffrage oder Corona-Massnahmen nicht so einfach. «Aber es lohnt sich doch nicht, dass deshalb Vereine auseinanderfallen, Freundschaften zerbrechen oder Familien gespaltet werden.» Jörg Trachsel findet, dass die Toleranz in der Gemeinde im Grossen und Ganzen vorbildlich gelebt wird, dass die Leute auf dem Land zum Teil vielleicht sogar offener sind als Städter. Als Bespiel nennt er den Tourismus, der Rücksicht auf die Landwirtschaft sowie das Gewerbe nehme und umgekehrt. Jörg Trachsel: «Zu den klassischen Themen wie Glockengeläut und Jauche gibt es praktisch keine Reklamationen.»

Und jetzt?
«Für mich geht eine intensive, aber gute Zeit zu Ende», fasst Jörg Trachsel zusammen. Jetzt freut er sich auf Zeit mit seiner Frau Heidi, der Familie, längst angedachte private Projekte und darauf, seinen Betrieb, der manchmal etwas unter Zeitmangel gelitten hat, weiterzuentwickeln. Bei den Feldschützen möchte er auch wieder vermehrt aktiv mitmachen. Und ganz zuletzt – nur wenn er «vöregleischet» ist – auch mal Ski fahren.


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