Raus aus der privaten Komfortzone, rein ins gemeinsame Ferienlager. Wobei Ferien nicht bedeutet, dass man nichts lernt. Das Ferienlager Eggli ist eine prägende Lebensschule, die Spuren hinterlässt, wo man sie vielleicht nicht vermutet, und die doch von Fremden plötzlich wieder gekreuzt werden.

KEREM S. MAURER
Da liegen die schmalen Matratzen dicht nebeneinander, die Lavabos in den Waschräumen bilden eine lange Reihe und scheinbar zahllose WCs sind nur durch eine dünne Wand voneinander getrennt. Wer schon einmal in einem Schullager mit rund hundert anderen Kindern war, weiss, wovon hier die Rede ist. Das Ferienlager Eggli Gstaad ist eine klassische Gruppenunterkunft im typischen Barackenstil der 1960er-Jahre. Alles auf einem Boden, mit zahlreichen Aufenthaltsräumen, grossen Küchen – und k(l)einer Privatsphäre. Doch Letzteres ist kein Mangel, sondern Programm. Wer in seiner Jugend eine oder gar mehrere Wochen in einem solchen Lager zubrachte, lernte nicht nur viel über sich selbst und die anderen Lagerkinder, sondern etwas für das ganze Leben. Das sage nicht ich, das sagt Rebekka Ballif-Brand, die als Gastgeberin der grössten Gruppenunterkunft im Saanenland im Ferienhaus Eggli Gstaad die Fäden zusammenhält.

Es ist und bleibt eine Baracke
Rund drei von vier Gästen im Ferienlager sind Schulkinder. Die restlichen 25 Prozent sind Familien, Freunde der Gastgeber oder Klubs aus der ganzen Schweiz. «Das Ferienlager Eggli war 1962 von Bäcker Bärtschi aus Saanen als Gruppenunterkunft gebaut worden, um sein Geschäft zu beleben und Saanen zu bevölkern», weiss Heinz Brand, der – einst selber Bäcker in Gstaad – das Haus in den 1980er-Jahren gemietet und später gekauft hat. Mit denselben Hintergedanken. Was das Ferienlager bislang an Einnahmen generiert hatte, wurde wieder in die Baracke investiert. Der Ausdruck «Baracke» ist nicht despektierlich, sondern treffend und sagt aus, was es ist – und was es bleiben soll. «Wir belassen das Gebäude absichtlich in diesem Barackenstil und bauen nicht um. Schliesslich wollen wir das tiefe Preisniveau pro Übernachtung beibehalten», erklärt Rebekka Ballif-Brand und unterstreicht damit die Philosophie des Hauses, die seit jeher seine Gültigkeit hat. Nein, dieses Haus ist nicht für die Gstaader High Society, sondern für Schulen aus der ganzen Schweiz errichtet worden, die ihren Kindern etwas bieten wollen. Etwas nämlich, das man für Geld nicht kaufen kann: prägende Lektionen in Sozialkompetenz gepaart mit Erinnerungen, die ein Leben lang halten.

Ungeschminkte Realitäten
Morgens, wenn es «Tagwacht» heisst, blicken einem von den Matratzen nebenan jene ungeschminkten und zerknautschten Realitäten entgegen, die man normalerweise in den Klassenzimmern nicht zu sehen bekommt. Vor den sanitären Anlagen bilden sich Staus zu frühmorgendlichen Zeiten, in denen viele noch gar nicht sprechen wollen, und dennoch ist der Geräuschpegel hoch – für den einen oder die andere vielleicht sogar zu hoch. Der rohe Kerl, der einen gestern noch grossmäulig gepiesackt hat, steht heute in unbequem verkniffener Haltung vor dem besetzten Klo und wirkt plötzlich gar nicht mehr so bedrohlich. Und das süsse Mädchen, das den eigenen Blick seit Beginn des Lagers magisch anzieht, sitzt beim Frühstück unfaire drei Tischreihen weit weg. Nicht wenige erfahren in einem Gruppenlager zum ersten Mal am eigenen Leib, was es heisst, wenn jemand im Zimmer schnarcht, im Schlaf spricht oder flatuliert. Eine Lagerzeit kann Menschen zusammenschweissen, oft Grundlagen für lebenslange Freundschaften und nicht selten gar für eheliche Verbindungen schaffen. Oder – auch davon wissen die Gastgeber zu erzählen – von zwischenmenschlichen Klüften, die sich weit ausserhalb der persönlichen Komfortzone mitten im Lagerleben geöffnet und die sich im schlimmsten Fall nie mehr geschlossen haben.

«Weisch no – frühjer ...?»
«Wenn man irgendwann, irgendwo mit irgendjemanden zusammentrifft, ins Gespräch kommt und sich über die jeweiligen Wohnorte unterhält, kommt es oft vor, dass man Leute trifft, die als Kinder oder Jugendliche im Ferienheim Eggli Saanen im Skilager waren», erzählt die Gastgeberin. Dann werden alte Geschichten aufgewärmt, im Sinne von «Weisch no, frühjer...» Bei solchen Geschichten falle regelmässig auf, dass die positiven Erlebnisse bei Weitem überwiegen. Lagerzeiten sind im Rückblick bei den meisten synonym für gute Zeiten. Treffen gar mehrere «Ehemalige» aufeinander, die alle einst eine Lagerzeit in der legendären Baracke in Saanen erlebt haben – was bei einer jährlichen Übernachtungszahl von gegen 7000 Personen und einem mehr oder minder lückenlosen Betrieb in den letzten rund 60 Jahren schnell einmal möglich ist – dann bieten abenteuerliche Lagergeschichten abendfüllenden Stoff. Ob sich alle Geschichten wirklich so zugetragen haben, oder das eine und andere romantisierende Detail im Nachhinein dazu gedichtet wurde, spielt an solchen Abenden keine Rolle. Auf jeden Fall zeigt es sich dann, dass die Idee hinter dem Betreiben eines Ferienlagers, nämlich die nachhaltige Belebung der Region, durchaus aufgeht. Denn viele von den einstigen Lagerkindern kommen im Erwachsenenalter zurück ins Saanenland, um hier einige Ferientage zu verbringen und wohl viele auch nicht zuletzt deshalb, weil man doch den eigenen Kindern die Originalschauplätze zeigen will, wo sich all die heroischen Lagerbegebenheiten aus der eigenen Jugend abgespielt haben.

Bereits erschienen: Chalet Saanenland, AvS vom 14. Dezember 2021; Tubegrabe-Stafel, AvS vom 11. Januar.

FERIENLAGER EGGLI GSTAAD

Maximal 112 Betten
– 1 2-Bettzimmer
– 3 4-Bettzimmer
– 15 6-Bettzimmer
– 1 8-Bettzimmer
– Aufenthaltsräume, Konferenzraum, TV-Internet
– Ausgerüstete Küche
– Spielwiesen, Spielplatz, Grill/Feuerstelle
– Mindestbelegung: 20 Personen
– Haustiere erlaubt
– Ganzjährig geöffnet

www.ferienlager-eggli.ch

Ferienheime im Saanenland

1 Chalet Saanenwald, Hornbergstrasse, 3777 Saanenmöser
2 Tubegrabe-Stafel, Turbachstrasse 159, 3781 Turbach
3 Ferienlager Eggli, Oeyetliweg 26, 3792 Saanen
4 Gässlihof, Gässli 23, 3784 Feutersoey
5 Ferienheim Länggass, Simneweg 4, 3777 Saanenmöser
6 Ferienheim Region Fraubrunnen, Erliweg 5, 3778 Schönried
7 Bümplizerhuus, Hornbergstrasse 25, 3777 Saanenmöser
8 Clubhaus Spitz, Skiclub Weyermatt, Alte Saanenmöserstrasse 2, 3776 Oeschseite
9 Clubhaus Rüeblihorn, Lätzgüetliweg 7, 3777 Saanenmöser
10 Ferienheim Buebebärg, Hubelstrasse 83, 3778 Schönried
11 Ferienheim Heitimatte, Campingstrasse 10, 3785 Gsteig
12 Ferienlager Gemeinde Lauenen, Kirchstrasse 21, 3780 Lauenen
13 Lovell Mountain Lodge, Hubelstrasse 88, 3778 Schönried
14 Münsinger Ferienheim, Zügelweg 4, 3777 Saanenmöser
15 Pfadfinderheim Kuonolf, Waldmatte 95, Schönried
16 Sport Lodge (Sportzentrum Gstaad AG), Sportzentrumstrasse 5, 3780 Gstaad
17 Solothurner Ferienheim, Bergmatteweg 21, 3777 Saanenmöser