Das Publikum gab Gewissheit

  08.09.2022 Kunst, Kultur, Gstaad, Saanenland, Konzert, Saanen, Musik, Kunst

Nach einer Absage des Gstaad Menuhin Festivals in 2020 und einer reduzierten Ausgabe in 2021 war unklar, wie die Resonanz auf eine wieder «normale» Festivalform in diesem Jahr sein würde. Nach sieben Wochen, etwa 25000 Besuchenden und mehreren ausverkauften Konzerten ist klar, dass es ein grosser Erfolg war.

JENNY STERCHI
«Es war tatsächlich schwierig für uns, im Vorfeld des Festivals eine Prognose zu den Besucherzahlen abzugeben», erinnert sich Christoph Müller, Artistic Director. «Die Befürchtung, dass sich die Menschen ein Jahr nach der Pandemie an die Online-Konzerte gewöhnt hätten und den digitalen Genuss dem physischen vorziehen, hat sich glücklicherweise nicht bestätigt.»

Grosses, treues Publikum
Mit einer Auslastung zwischen 80 und 90 Prozent seien die Konzerte in der Kirche Saanen überraschend gut wieder angenommen worden. «Das gibt uns die Gewissheit, dass das Publikum nicht nur gross, sondern auch treu ist», resümierte Christoph Müller. Sicher habe auch der Zeitpunkt des Festivals etwas mit dem Erfolg zu tun. «In einigen Opern- und Konzerthäusern wurde in den ersten Monaten des Jahres noch akuter Besuchermangel beklagt.»

Aber wie ist die grosse Nachfrage am Gstaad Menuhin Festival denn zu erklären? «Es sind vermutlich mehrere Faktoren, die zum diesjährigen Erfolg führten», erklärt der künstlerische Festivalleiter. «Zum einen lag das Festival mitten in den Sommermonaten, in denen sich der Alltag und die Umstände bereits normalisiert hatten. Zum anderen ist ein Festival konzentrierter und vielfältiger als eine feste Theaterinstitution. Viele verschiedene Musikinteressen können so abgedeckt werden. Und zuletzt ist es sicher auch das Gstaad Digital Festival. Die steigenden Nutzerzahlen während der Pandemie machten deutlich, dass viele Menschen trotz aller Widrigkeiten auf klassische Musik nicht verzichten möchten.» Mittlerweile haben sich etwa 16’700 Nutzerinnen und Nutzer auf dieser Plattform registriert und behalten so ständig den Kontakt zum Festival.

«Die Menschen lassen sich durch dieses digitale Angebot keinesfalls vom physischen Konzertgenuss abhalten», ist Müller überzeugt. «Ein Konzert in Gesellschaft erleben zu können, ist für viele Menschen wichtig.» Wonach die Besuchenden ihre Auswahl der Konzerte treffen, ist derzeit unter anderem Gegenstand einer Publikumsstudie. «Wenn wir ein bisschen mehr über die verschiedenen Motivationen unserer Gäste wissen, können wir in der Programmgestaltung reagieren.»

Einladung zum «Wandel»
Eine Veränderung im Programm wurde bereits in den letzten Wochen offen kommuniziert. «Mit dem Zyklus ‹Wandel› wenden wir uns gesellschaftlich relevanten Themen zu, ohne dabei die gewohnte Festivalstruktur zu verändern», erklärt Christoph Müller. «Wir möchten mit dem Festival nicht blosses Entertainment bieten. Es bleibt ein Festival klassischer Musik mit hohem Qualitätsanspruch, das aber keine Angst vor Neuerungen hat und herausfordernd erscheint.» Von der Fachwelt und der kantonalen Kulturbehörde wird das Festival und seine Entwicklungsrichtung als Pionierprojekt begrüsst und geschätzt.

Die Geigerin und Wahlbernerin Patricia Kopatchinskaja, die eine eigene Konzertreihe zum Thema präsentieren wird, wirkt als Botschafterin für den kommenden Festivalzyklus. «Sie ist eine sehr prägnante Musikerin in der Auseinandersetzung zwischen Musik und Gesellschaft. Ihre Konzerte werden sicherlich Diskussionen auslösen.» Aber im Gespräch zu bleiben sei erklärtes Ziel des Gstaad Menuhin Festivals.

«Wandel» als Notwendigkeit
«Wenn wir glaubwürdig bleiben wollen, können wir die Augen nicht länger vor dem Wandel verschliessen, der sich auf vielen Ebenen unserer Gesellschaft anbahnt oder sich bereits vollzieht», begründet Müller den folgenden thematischen Festivalzyklus. «Auch wenn das nächste Festival unter dem Titel ‹Demut› stattfindet, wollen wir unser Publikum nicht verschrecken oder zwangsweise demütig stimmen. Vielmehr kann Musik unter Umständen mehr sagen und verdeutlichen als dies mit nüchternen Daten möglich wäre», ist Müller überzeugt.

Angebote etabliert
Als Musikvermittlungsprogramm ist «Discovery» damit beschäftigt, Kinder und Jugendliche mit klassischer Musik vertraut zu machen. Es gelang auch in diesem Jahr, das Interesse daran wachsen zu lassen. «Es ist wertvoll, denn es erreicht eine Publikumsschicht, die wir ohne das Angebot nicht erreichen würden.» Auch das Interesse an den Academys ist ungebrochen gross und die Qualität der Absolventen verblüffend. Auf die Frage nach seinem ganz persönlichen Favoriten der letzten sieben Festivalwochen muss Christoph Müller nicht lange überlegen: «Die Zusammenarbeit zwischen dem Gstaad Festival Orchester (GFO) und dem grossartigen Dirigenten Jaap van Zweden ist immer wieder ein Erlebnis», schwärmt Müller, ohne dabei die Leistungen aller übrigen Künstlerinnen und Künstler zu schmälern. «Das GFO ist unser Projektorchester und präsentiert eine sagenhafte musikalische und künstlerische Verbundenheit.»

«Aber auch das Eröffnungskonzert war unvergesslich», erinnert sich Müller. «Es enthielt die einzige Programmänderung des Festivals. Mit Joseph Haydns «Missa in tempore belli» und einem grossartigen Rias Kammerchor sowie einem faszinierenden Freiburger Barockorchester war eine den gegenwärtigen Umständen angepasste und grandiose Alternative gelungen.»


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