Gezupfte Saiten und neugierige Barden

  09.06.2022 Kultur, Volkswirtschaft, Region, Nachbarschaft, Pays-d'Enhaut

Das 22. Festival La Folia von Rougemont bot wiederum eine breit diversifizierte Palette an barocken Schmankerln für die Freunde Alter Musik. Am Freitag musizierte das Streicherensemble «Jupiter» in der Saint-Nicolas-Kirche und am Pfingstmontag gaben «The Curious Bards» ein gelungenes Finale mit irischen und schottischen Melodien.

ÇETIN KÖKSAL
La Folia ist zwar in erster Linie ein kleines, feines Festival für Liebhaber und Kenner barocker Musik, aber eben auch für Neugierige auf der Suche nach Abwechslung. Selbst wer sich musikalisch eher in neueren Zeiten zu Hause fühlt, darf sich auf eine Abenteuerreise einlassen, an deren Ende immer eine beeindruckende und beglückende Überraschung wartet. Beispielsweise in Form von Anna Schivazappa, einer der ganz wenigen Mandolinenspielerinnen, welche ihr Instrument auf höchstem Niveau beherrscht. Zusammen mit dem Ensemble «Jupiter», unter der Leitung des Lautenspielers Thomas Dunford, interpretierte sie zwei Concerti von Vivaldi. Es war höchst beeindruckend, was diese gross gewachsene Musikerin imstande war, aus ihrem kleinen Instrument herauszuholen. Alle Bewegungen, sowohl der greifenden linken als auch der zupfenden rechten Hand, müssen klein, präzise und manchmal auch sehr schnell sein. Wer dachte, auf der Geige finde alles auf kleinem Raum statt, durfte bescheiden zur Kenntnis nehmen, dass die barocke Mandoline noch einmal eine andere Welt ist. Schivazappa entlockte ihrem neapolitanischen Instrument von Antonius Vinaccia von 1768 eine breite Varietät von lieblichen bis virtuosen Tönen, was ihrem Spiel einen sensibel starken Ausdruck verlieh.

Ausflug in die «Moderne»
Interessant und ungewöhnlich war die Barock-Pause, welche das Ensemble «Jupiter» den Zuhörern programmatisch bescherte. Aus dem 17./18. Jahrhunder wurde es schlagartig ins feurige 20. Jahrhundert katapultiert. Das «Concierto de Aranjuez» für (moderne!) Gitarre und Orchester spielte Thibaut Garcia mit den «Jupiter»-Musikern, wobei jene instrumentaltechnisch im Barock verblieben. Der Orchesterpart war vom Ensemble für ihre kleine Formation umgeschrieben worden und bot damit dem Publikum ein komplett neues, anderes Klangerlebnis dieses bekannten Gitarrenkonzerts. Reizvoll war auch diese Kombination von modernem Soloinstrument und alten «Begleitinstrumenten». Auffallend, wie harmonisch Dunford als Ensembleleiter mit dem exzellenten Solisten Garcia harmonierte. Im Übrigen darf keineswegs unerwähnt bleiben, dass auch Thomas Dunford ein hervorragender Vertreter seines Fachs ist und die vielen Saiten seines Instruments aufs Schönste zum Klingen bringt. Insgesamt ist es wohl nicht übertrieben, wenn man dieses Konzert als kleine Sternstunde der «gezupften Saiten» bezeichnete. Die «gestrichenen Saiten» hinkten da leider ein kleines bisschen hinterher.

Auf nach Britannien!
Laut Wikipedia bezeichnet man als Barden im engeren Sinne Dichter und Sänger des keltischen Kulturkreises. Die fünf Musiker von «The Curious Bards» unter der Leitung von Alix Boivert nahmen das Publikum des Abschlusskonzerts auf eine Zeit- und Raumreise ins vergangene Schottland und Irland des 17./18. Jahrhundert mit. Die verschiedenen Melodien von meist unbekannten Komponisten interpretierten sie mit spürbarer Spielfreude. Besonders aufgefallen ist Bruno Harlé, welcher seiner hölzernen Barock-Querflöte warme und virtuose Töne entlockte. Ganz der eingangs erwähnten Philosophie des Abenteuers entsprechend, bot auch das Abschlusskonzert eine Überraschung: die Cister. Jean-Christophe Morel spielte dieses Instrument aus der Familie der Kastenhalslauten, welches zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert von der Laute abgeleitet worden war. «Cistern haben, im Unterschied zu den meisten Lauten stets Metallsaiten. Dies sind Doppelsaiten (Chöre) aus Stahl, Messing, Eisen oder gelegentlich auch Silber. Die Anzahl der Saiten variiert und auch die Stimmung ist keinesfalls einheitlich. Der Korpus der Cister kann tropfen- oder birnenförmig sein, oder auch einen Umriss ähnlich einer Glocke (Hamburger Cithrinchen) besitzen. Er besitzt Zargen, die zum Hals hin breiter werden, sowie ein Schallloch. Die Bünde sind fest im Griffbrett eingelassen. Die meist eher kleine Mensur sowie die offene Stimmung führte dazu, dass die Cister in der Renaissancezeit als auch von Anfängern einfach zu spielendes Volksinstrument grosse Verbreitung fand.» (Quelle: Wikipedia)

Nun denn, wem die Gitarre zu normal und verbreitet ist, die Mandoline zu klein und die Laute zu gross, der hat dank La Folia vielleicht endlich seine instrumentale Bestimmung gefunden!


«Den einen oder anderen Traum habe ich schon noch»

Capucine Keller, wie zufrieden sind Sie mit der 22. Ausgabe von La Folia?
Sehr zufrieden! Nach dieser schwierigen Zeit sind wir alle sehr glücklich darüber, wie das diesjährige Festival gelaufen ist, obwohl es einige Hürden zu überwinden galt. Beispielsweise führten wir acht anstatt der üblichen sieben Konzerte durch, ein Grossteil des Organisationsteams ist neu und wir mussten aus organisatorischen Gründen für zwei Konzerte unsere geliebte Kirche in Rougemont verlassen. Im Temple de Château-d’Oex zu spielen, war auch eine schöne Erfahrung und wer weiss, vielleicht ergibt sich dadurch in Zukunft eine neue Möglichkeit.

Welches Konzert wird Ihnen als musikalische Sternstunde in Erinnerung bleiben?
Das Abschlusskonzert war für mich ein wirklich gelungenes Feuerwerk, obwohl natürlich jedes Konzert seine Besonderheit und seinen Reiz hat. Ich versuche immer, ein möglichst diversifiziertes Programm zusammenzustellen – innerhalb des gegebenen Rahmens natürlich. Es sollen verschiedene Instrumente, Stile, Epochen und Formationen vertreten sein. Wenn ich nach den Konzerten mit den Zuhörern spreche, so sagt mir immer jemand, dass ihm gerade dieses Konzert besonders gut gefallen hat, was mich sehr freut! Es ist eine schöne Bestätigung dafür, dass es mir offenbar gelingt, verschiedene Geschmacksrichtungen bedienen zu können.

Sie sind ausgebildete Sängerin. Wie wird man als Sopranistin musikalische Leiterin eines Festivals für Alte Musik in den Bergen?
Als ich Studentin an der Haute Ecole de Musique de Lausanne war, machte ich gegen Ende meines Studiums am Projekt «Des masters sur les ondes» mit, welches vom Radiosender Espace 2 (RTS) in Partnerschaft mit der HEM angeboten wird. So lernte ich Antonin Scherrer kennen, der mich dann zu meiner grossen Überraschung zu seiner Nachfolgerin vorschlug. Ich bin ihm sehr dankbar dafür, dass er mich ermutigte, diesen Schritt zu wagen, denn von mir aus hätte ich mir diese Aufgabe nie zugetraut.

Mich beeindruckt die Tatsache, dass es Ihnen immer wieder gelingt, exzellente Musiker ins Pays-d’Enhaut zu holen. Wie machen Sie das?
Ehrlich gesagt, ist das überhaupt nicht schwer, bekomme ich doch deutlich mehr Anfragen von so vielen bemerkenswerten Künstlern, als ich engagieren kann. Die Reputation von La Folia ist seit Langem schon so gut, dass ich die Qual der Wahl habe.

Wie erleben Sie die Entwicklung des Festivals seit Sie es leiten (2015) und wohin wird die Reise in Zukunft gehen?
Ganz klar kann man sagen, dass es eine Zeit vor und nach Corona gibt. Die Bedingungen heute sind anspruchsvoller und das Publikum zögert auch eher, zu den Konzerten zu kommen. Wir haben dieses Jahr weniger Eintrittskarten verkaufen können als in den vorangehenden Ausgaben, was wir darauf zurückführen, dass die eigentlich gemütlich heimelige Atmosphäre in der Kirche Rougemont den einen oder anderen womöglich doch etwas zu eng war. Ich bleibe aber zuversichtlich und freue mich auf die kommenden Ausgaben von La Folia. Den einen oder anderen Traum habe ich schon noch – verraten kann ich sie hier aber leider nicht, denn nur geheim gehaltene Träume verwirklichen sich!

Haben Sie eine Idee, wie man auch ein junges Publikum für Alte Musik begeistern könnte?
Na ja, warten – wenn die Jungen älter werden, dann kommen sie in unsere Konzerte. Vielleicht ist es tatsächlich auch eine Frage des Alters, wie empfänglich man für welche Musik ist. Obwohl ich es natürlich sehr begrüssen würde, wenn wir mehr jüngere Zuhörer im Publikum hätten. Gerade Alte Musik eignet sich für «Einsteiger», da der Rahmen und die Atmosphäre doch lockerer und weniger an traditionelle Konventionen gebunden ist als in anderen klassischen Konzerten.

INTERVIEW: ÇETIN KÖKSAL

 


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