So geht Inklusion

  28.03.2022 Berner Oberland, Tourismus, Sport, Wintersport, Nachbarschaft, Lenk

Die Integration von Parasnowboardern, Nachwuchsfahrern und Swiss-Ski-Athleten funktioniert am Betelberg an der Lenk hervorragend. Die Ski- und Snowboard-Crossstrecke beim Leiterli steht allen offen – einzigartig in der Schweiz.

JENNY STERCHI
Zwei junge Frauen in Rollstühlen und ein junger Mann mit einem Snowboard in den Händen tummelten sich am Freitagmorgen auf der Piste am Betelberg an der Lenk. Im Visier eines Profifotografen posierten sie vor beinahe kitschig blau-weissem Hintergrund. PluSport, Lenk-Simmental Tourismus und die Lenk Bergbahnen besiegelten so ihre bereits bestehende Partnerschaft und lancierten den offiziellen Trainingsstützpunkt.

Eingeladen waren auch die drei Athleten Romy Tschopp, Ellen Walther und Aron Fahrni, die als Teil des Schweizer Para-Snow-Sport-Teams in dieser Saison zu begeistern wussten. Während Aron Fahrni und Ellen Walther erst vor einem Jahr dazustiessen, trainiert Romy Tschopp bereits seit zwei Jahren mit Silvan Hofer, Para-Snowboard-Trainer von PluSport.

Früchte der Zusammenarbeit
Wie erwähnt, besteht eine hervorragende Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern PluSport, Lenk-Simmental Tourismus und Lenk Bergbahnen seit einiger Zeit. Diese Kooperation zahlte sich in der letzten Saison schon aus. Ellen Walther und Romy Tschopp räumten an den Para-Snowsports-Weltmeisterschaften in Lillehammer in ihrer Klasse ab. Im Teamwettkampf holten sie sich die Bronzemedaille. Und Ellen legte mit zwei weiteren Bronzemedaillen im Banked Slalom und Snowboardcross sogar noch nach. «Ich bin mental über mich hinausgewachsen», erinnert sich Ellen Walther und beschreibt das Gefühl immer noch als «surreal».

Romy Tschopp fuhr einen Monat später an den Paralympics in Peking den Banked Slalom und den Boardercross. «Das war eine Riesenerfahrung und motiviert, weiterzumachen und noch stärker zu werden.»

Das mittelfristige Ziel von PluSport, dem Dachverband des Behindertensports in der Schweiz und angeschlossener Fachverband von Swiss-Ski, ist es, mindestens vier Para-Snowboardathletinnen und -athleten an die Paralympics 2026 in Cortina (Italien) zu entsenden. Um dieses Ziel zu erreichen, geht PluSport nun die vertiefte Zusammenarbeit mit dem Ferienort Lenk, Swiss Snowboard und dem Berner Snowboardverband BABE ein.

Warum ausgerechnet an der Lenk?
PluSport führt seit Längerem regelmässig Sportcamps und Trainingstage für Menschen mit Beeinträchtigung an der Lenk durch. Die Destination überzeugt mit barrierefreien Infrastrukturen und einer herzlichen Willkommensmentalität. «Es ist die Bereicherung auf beiden Seiten, die den Umgang mit den beeinträchtigten Sportlern so wertvoll macht», schwärmt Matthias Werren, Leiter Marketing,Verkauf und Events bei den Lenk Bergbahnen, von den Erfahrungen in der Vergangenheit. «Die Wertschätzung, die sie unseren Mitarbeitern entgegenbringen, berührt und motiviert extrem.» Dieser Austausch mache die Entwicklung und Optimierung der Infrastrukturen und Hilfestellungen möglich.

«Die Crosspiste, die hier am Betelberg eingerichtet wurde und allen zur Verfügung steht, ist einmalig in der Schweiz», betont Trainer Silvan Hofer. Die Einmaligkeit besteht darin, dass sie sowohl den Kaderathletinnen und -athleten von PluSport als auch denen von Swiss-Ski und BABE (Berner Nachwuchsförderung im Snowboardsport) zur Verfügung steht. «Und wenn es der Platz erlaubt, ist die Strecke auch für alle interessierten Gäste und Touristen zugänglich.» Die heute vielfach angestrebte Inklusion funktioniert hier schon. Ein Projekt, das seinesgleichen auf den Schweizer Pisten noch sucht.

«Auch Menschen mit Einschränkungen sollen angenehme und sorglose Ferien an der Lenk verbringen können», erklärt Albert Kruker, Direktor von Lenk-Simmental Tourismus. «Als Teil unserer Nachhaltigkeitsstratgie werden wir Aktivitäten in allen Jahreszeiten verfügbar machen. Für eine optimale Umsetzung setzen wir auf die Zusammenarbeit mit Fachleuten.»

Auch für die Spitzensportler, ob nun eingeschränkt oder nicht, soll die Lenk im Winter wie auch im Sommer noch attraktiver gestaltet werden. Längerfristig sind zum Beispiel Para-Snowboard-Crossrennen auf Stufe Europaoder Weltcup sowie Schweizermeisterschaften geplant.

«Wir sind bestrebt, unsere touristischen Angebote und Infrastrukturen in Zusammenarbeit mit Fachleuten zu verbessern. Das ist Teil unserer Nachhaltigkeitsstrategie», so Albert Kruker über die Partnerschaft mit PluSport.

Mit Rollstuhl aufs Snowboard?
Es scheint für den Beobachter unmöglich, dass die beiden Sportlerinnen Romy Tschopp und Ellen Walther, beide im Rollstuhl, auf dem Snowboard unterwegs sind. Räder auf Snowboard, wie soll das zusammen gehen? Die beiden klären auf: «Bei uns beiden liegt eine inkomplette Querschnittslähmung vor, was bedeutet, dass wir stehen und sogar einige Schritte laufen können.» Romy Tschopp, die Ältere von beiden, präzisiert: «Mit dem Training unserer Oberschenkelmuskulatur unterstützen wir die Stabilität. Ausserdem werden wir durch sogenannte Orthesen, also mechanische Stützen am Bein, noch stabiler.» Sie ist mit Spina bifida, einem Geburtsgebrechen, das auch als offener Rücken bezeichnet wird, auf die Welt gekommen. Sie kennt das Leben mit Einschränkungen von Anfang an. Aber das hielt sie nicht davon ab, Sport zu treiben und sogar ihr Berufsleben sportlich auszurichten. Als Fachfrau Bewegungs- und Gesundheitsförderung gibt sie Bewegungskurse. Ellen Walther hingegen musste sich ausgerechnet nach einem Snowboardunfall vor zwei Jahren abrupt mit dem Verlust der Bewegungsfreiheit auseinandersetzen. Sie, die in Kürze ein Schauspielstudium aufnehmen wird, hatte die Tatsache, wieder auf dem Snowboard zu stehen, als grössten Erfolg angenommen. Dass dann noch drei Medaillen an Weltmeisterschaften dazukommen würden, hatte sie nicht von Anfang an auf dem Zettel.

Beide starten in der gleichen Wettkampfklasse. «Der Grad der Behinderung wird im Spitzensport festgestellt und die Athletin und der Athlet den entsprechenden Wettkampfklassen zugeordnet», erklärt Trainer Silvan Hofer.

Der dritte in diesem wirklich harmonischen Team ist Aron Fahrni. Er, ein junger Mann mit unbändiger Lebensfreude und Offenheit, erlebte seinen ersten Winter im Spitzensport. Sein fröhliches Gemüt fällt viel mehr auf als seine Beeinträchtigung am linken Arm. Ein Unfall an einem Kinderschlepplift hinterliess bei dem damals Sechsjährigen zerissene Nerven im Arm mit Schädigungen bis ins Rückenmark. Aron kann seinen Arm bewegen und nutzen, wenn auch eingeschränkt. Er hat Sportwissenschaften und Musik studiert und lässt sich jetzt alle Möglichkeiten offen. «Da passt der Spitzensport gerade ganz gut dazu», sagt er und lacht, wie so oft an diesem Vormittag.

Der Eindruck, den die drei Sportler an diesem Tag bei allen Anwesenden hinterlassen, ist gewaltig.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote