«Wir müssen eine Strommangellage unbedingt verhindern»

  18.08.2022 , Interview, Gesellschaft, Kanton, Volkswirtschaft, Tourismus

Steigende Dieselpreise, Energie- und Wassermangel, dazu der starke Franken: Die Seilbahnbranche steht vor grossen Herausforderungen. «Die Branche ist darauf vorbereitet», betont Marco Luggen im Gespräch.

ANITA MOSER

Die Seilbahnbranche ist im Aufwind. Nun droht für kommenden Winter eine Strommangellage. Wie ist Ihre Gefühlslage knapp drei Monate vor der Wintersaison? Machen Sie sich Sorgen?
Matthias In-Albon:
Panik ist nicht angesagt. Durch Corona hat die Branche extrem viel gelernt. Sie hat sich von einer undynamischen zu einer sehr dynamischen Branche entwickelt. Wir sind viel agiler geworden, können rasch reagieren.
Marco Luggen: Ich kann das nur unterstützen. Unsere Branche musste schon immer optimieren – auch wegen zum Teil knappen Budgets – und am Puls bleiben. Corona hat das nochmals verstärkt. Aber wir haben unsere Anpassungsfähigkeit und die schnelle Reaktion auf ein sich schnell änderndes Marktumfeld bewiesen. Wir können überhaupt nicht von Angst sprechen. Wir sind zuversichtlich, dass wir die nächste Unebenheit, die sich auftut, gut überbrücken können.

Der Boom an Schweizer Gästen ist abgeflacht. Die Schweizer reisen wieder gerne und umgekehrt kommen wieder vermehrt Gäste aus dem Ausland in die Schweiz. Schadet der starke Schweizer Franken der Branche?
Marco Luggen:
Die Wechselkursthematik ist nicht mehr so präsent. Man hat sich über die Jahre daran gewöhnt. Wir haben Massnahmen getroffen und in Qualität investiert. Unsere Ticketpreise können wir guten Gewissens mit jenen im Ausland vergleichen. Das Verhältnis Leistung und Angebot stimmt, wir brauchen uns nicht zu verstecken.
Matthias In-Albon: Der Wechselkurs ist das eine – das Ausland hat dafür mit der Inflation zu kämpfen. Es wird zum Teil von einer Preiserhöhung von zehn und zwanzig Prozent gesprochen – Skigebiete in Italien haben bereits im März diese Überlegungen gemacht. Eine hohe Inflation im Ausland relativiert den Wechselkurs wieder etwas.
Marco Luggen: Die Reise in die Destinationen sind ja auch nicht kostenlos. Die Flugpreise sind gestiegen – was ja auch notwendig war –, zudem ist derzeit ungewiss, ob der gebuchte Flug auch stattfindet. Dazu kommen die hohen Treibstoffpreise, die uns zwar alle treffen, aber auch jene, die verreisen wollen.

Sie geben das Stichwort: Die Dieselpreise sind gestiegen. Was bedeutet das für die Branche?
Matthias In-Albon:
Die Preiserhöhung trifft jeden. Letztes Jahr lag der Preis für ein Bergbahnenunternehmen bei rund 1.40 Franken, momentan ist er bei 1.90 Franken. Das ist ein Richtwert für den Einkauf von grösseren Mengen.
Marco Luggen: Der Dieselpreis wird sicher alle direkt treffen und zurzeit gibt es auch noch keine technischen Alternativen zum Verbrennungsmotor auf den Pistenfahrzeugen. Natürlich sind unsere Mitgliederunternehmen daran, mit den Herstellern zusammen eine Lösung, eine Alternative, zu suchen.
Matthias In-Albon: Es gibt kleine Fahrzeuge, die elektrisch angetrieben werden. Aber diese eignen sich eher für Loipen oder für ein Bahntrassee. Aber nach zwei Stunden müssen sie wieder aufgeladen werden. Es gibt auch erste Versuche mit Wasserstoff. Aber da gilt es zu relativieren. Die Pistenfahrzeuge sind im weltweiten Vergleich ein kleiner Markt mit rund tausend Maschinen. Sie hat nie Schlagkraft wie beispielsweise die Baumaschinenhersteller.

Marco Luggen: Die aktuelle Situation zeigt ja auch, dass Elektro im Moment die Sache nur verschärfen würde…

Genau, auch die Strompreise schnellen in die Höhe.
Marco Luggen:
Die Preiserhöhung schlägt natürlich voll durch bei uns. Unsere Mitgliederunternehmungen setzen seit Jahren viel auf die Optimierung, sei das mit Schulungen, mit technischen Hilfsmitteln. Aber es ist schon so: Eine Energiepreiserhöhung schlägt eins zu eins auf das Ergebnis durch und dort kommt es darauf an, wie lange die Stromverträge laufen, wann die Einkäufe getätigt wurden. Es liegt auf der Hand, dass diesbezüglich auch unsere Mitglieder gewisse Anpassungen vornehmen müssen.
Matthias In-Albon: Die meisten grösseren Bergbahnenunternehmungen kaufen den Strom auf dem freien Markt selber ein. Je nachdem gibt es die Variante, dass man den Strom jährlich oder für mehrere Jahre im Voraus kauft. Jene, die schon frühzeitig eingekauft haben, spüren die höheren Strompreise erst in zwei, drei Jahren.

Der Vorstand hat sich unter anderem mit dem Arealnetz befasst. Was bedeutet das? Maro Luggen: Im Gegensatz zu einer Firma oder einem Produktionsbetrieb, die einen Einspeisepunkt haben, haben wir verschiedene Anschlüsse. Und für jeden Anschluss gibt es einen bestimmten Tarif. Wer über 100’000 Kilowattstunden bezieht, zählt als Grossverbraucher. Kleine Anschlüsse laufen über die Grundversorgung. Das hat enorme Auswirkungen auf die Tarife. Wir würden es begrüssen, wenn man uns – die einzelne Destination – als Gesamtbezüger behandeln würde.
Matthias In-Albon: Im Saanenland haben wir siebzig Zähler – jeder wird einzeln angeschaut. Würde zum Beispiel die BDG AG mit ihren aktuell mehreren Einspeisepunkten als Arealnetz betrachtet, wäre das auch betrieblich interessant. Schwankungen könnten optimiert werden. Man könnte Spitzen brechen, indem man nicht alle Bahnen zeitgleich öffnet. Das würde dem ganzen Netz etwas bringen, auch finanziell.

Diesel- und Strompreise steigen. Werden die Tickets teurer?
Marco Luggen:
Letztendlich muss jede Unternehmung selber ihr Pricing bestimmen. Einige haben die Preise schon leicht erhöht, bei anderen ist eine Preiserhöhung nicht angezeigt. Mit Ausnahme vom Diesel ist der Stromanteil, respektive wann er eingekauft wurde und wie viel man noch hat, entscheidend. Sofern es so bleibt, werden mittelfristig wohl alle Produkte, die Energie brauchen, Anpassungen erfahren.

Und konkret im Saanenland: Werden die Abonnemente teurer?
Matthias In-Albon:
Nein, es gibt bei Top4 und in der Destination Gstaad keine Preiserhöhung bei den Saisonabonnementen.

Man befürchtet eine Strommangellage für diesen Winter. Haben Sie Angst, dass Anlagen geschlossen werden, die Beschneiung eingestellt wird? Gibt es einen Plan B?
Marco Luggen:
Selbstverständlich haben wir Pläne, respektive analog zu Corona haben wir auf Verbandsebene mit Seilbahnen Schweiz – wie sich das bewährt hat – eine Taskforce gebildet. Aber es gibt noch so viele Unbekannte. Die verschiedenen Abschaltetappen des Bundes sind bekannt, aber es ist nicht klar, wie die Richtlinien aussehen.

Matthias In-Albon: Gemäss den Zahlen von Seilbahnen Schweiz haben die Bergbahnen am gesamten Stromverbrauch der Schweiz einen Anteil von drei Promille. Dem stehen Direkteinnahmen von 800 Millionen Franken und eine Wertschöpfung von sechs Milliarden Franken gegenüber. Würde man die Bahnen abstellen, wäre der wirtschaftliche Schaden riesig.

Es ist ein sehr komplexes Thema, abhängig vom Ausland – in Frankreich sind von 56 Atomreaktoren noch dreissig am Netz, zudem ist die Betreibergesellschaft Konkurs gegangen –, von den Niederschlägen, von der Füllung der Stauseen, vom Wind in den Niederlanden usw. Es sind viele Player involviert, viel mehr als damals bei Covid. Wir müssen uns aktiv einbringen und zwar nicht erst fünf vor zwölf, sondern schon jetzt, und schauen, was wir tun können mit dem Ziel, dass es nie zu einer Netzabschaltung kommt.

Wie können Bergbahnen Strom sparen? Wo gibt es Sparpotenzial?
Marco Luggen:
Wir diskutieren verschiedene Ansatzpunkte. Es gibt die Möglichkeit, dass man langsamer fährt, dass man den Komfort optimiert, zum Beispiel die Rolltreppen abstellt. Wir möchten aber nicht unnötig Erwartungen schüren. Wir reden hier von Stromeinsparungen im niedrigen Prozentbereich. Das ist nicht der grosse Wurf, aber wir versuchen, mit aktiven Lösungen einen Beitrag zu leisten.

Was sagen Sie zum Vorschlag, auf die Beschneiung zu verzichten?
Matthias In-Albon:
Massnahmen müssen greifen, wenn es zur Knappheit kommt, respektive man muss verhindern, dass es zur Knappheit kommt. Die Beschneiungsphase ist von Mitte Oktober bis Mitte Dezember. Dann laufen die Bahnen noch nicht. Es läuft nie alles gleichzeitig. Mit der Beschneiung einsparen bringt somit wenig, wenn der Akutpunkt – wie von der BKW errechnet – im Februar oder März ist.

Sind Winterferien überhaupt noch im Trend?
Mattias In-Albon:
Nach schwierigen Jahren wächst das Bedürfnis nach Wintersport wieder. Aber es sind vielleicht nicht mehr die zwei Wochen Winterferien wie früher. Der Trend geht dahin, dass die Aufenthalte kürzer, aber häufiger werden.

 


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