Wie lange der Samariterverein Saanenland noch besteht, ist ungewiss

  08.02.2022 Sport, Gesellschaft, Politik, Volkswirtschaft, Tourismus, Saanenland, Event, Vereine, Gesundheitswesen

Am Tennis, Beachvolleyball und Country – die Sanität ist immer vor Ort. In Zeiten des Vereinssterbens stellt sich die Frage, ob der Samariterverein Saanenland diese Einsätze aus eigener Kraft noch stemmen kann.

BLANCA BURRI
«Es ist schade, aber wir können Grossanlässe wie das Beachvolleyball-, Poloturnier oder das Gstaad Menuhin Festival nicht mehr stemmen», beantwortet der Vizepräsident des Samaritervereins Saanenland, Patrick Westemeier, die Frage unumwunden. Deshalb habe man diese Anlässe vor einigen Jahren abgeben müssen. In die Bresche gesprungen sind private Anbieter. Der Samariterverein konzentriert sich seither auf Weiterbildungen sowie eintägige Veranstaltungen wie Grümpelturniere oder Skiklubrennen. Auch die dreimal pro Jahr stattfindenden Blutspendeaktionen betreut er mit 20 Freiwilligen.

Mitgliederzahlen in 20 Jahren halbiert
Dass es um die Samaritervereine schweizweit schlecht steht, zeigen diverse Artikel über Vereinsauflösungen und Fusionen. Auch im Kanton Bern sind die Zahlen alarmierend: In den vergangenen zwanzig Jahren sind 85 Samaritervereine eingegangen. Teilweise haben sie sich aufgelöst, fusioniert oder sind vom Dachverband der Schweizerischen Samaritervereine zum Schweizerischen Militär-Sanitäts-Verband gewechselt, der als agil und vereinsnah bezeichnet wird. Von den 205 Samaritervereinen sind noch 120 übrig geblieben. Auch die Mitgliederzahlen sind drastisch gesunken. Von den einst 5387 Samaritern im Jahr 2000 sind zwanzig Jahre später noch knapp die Hälfte, also 2486 Personen, auf der Liste. Wie sieht die Situation im Saanenland aus?

Wenige Aktive
Bis vor drei Jahren zählte der Samariterverein Saanenland 25 aktive Mitglieder und 150 passive. Inzwischen ist der Stamm der Aktiven um fünf auf 20 geschrumpft – deren Durchschnittsalter auf 53 Jahre gestiegen. «Das Alter sagt alles», meint Westemeier lakonisch. Die Überalterung ist gesamtschweizerische in grosses Problem. Als Grund macht der Samariter die Konsumfreudigkeit der Gesellschaft geltend. «Viele Personen möchten in der Freizeit möglichst wenig leisten und am liebsten viel konsumieren. Niemand will sich mehr engagieren, deshalb finden wir in den Vereinen keinen Nachwuchs mehr.» Die wenigen, die sich noch engagierten, verlangten ein Zückerchen zurück. Westemeier erklärt an einem Beispiel: «Die Trainer und Helfer im Skiklub oder Turnverein helfen zwar unentgeltlich, aber sie können auch davon profitieren.» Ihre Kinder nähmen beispielsweise am Training und an den Wettkämpfen teil, dort sei es ein Geben und Nehmen. «Weil die Samariter ihre Leistung als Dienst an der Gesellschaft sehen, kommt bei uns halt einfach nichts zurück», fasst der Landwirt zusammen.

Zu viele Vereine?
Neben dem Gesellschaftstrend Konsum macht Patrick Westemeier auch die gestiegene Mobilität, die Überalterung der Gesellschaft und das im Gegensatz zu früher grosse Angebot an Vereinen und Anlässen verantwortlich. Er zitiert ein Paradebeispiel: «Früher gab es in Lauenen den Schützenverein und ‹ds Chörli›. Punkt. Heute kann man für jedes Hobby einen Verein oder ein Angebot finden.» Der ehemalige Dorforganisationspräsident macht klar, dass er die Vereinsvielfalt nicht infrage stellt, sie sei für die Entwicklung der Kinder und der Täler wertvoll, aber sie sei sicherlich mitverantwortlich dafür, dass viele Vereine mit Mitgliederschwund zu kämpfen hätten. «Und wenn wir ehrlich sind, engagieren sich in allen Vereinen dieselben Personen», ergänzt er. Wenn der Skiclub in Lauenen etwas organisiere, seien dieselben Helfer vor Ort, wie wenn der Turnverein die Fäden ziehe.

Neue Mitglieder gewinnen ist schwierig
Der Samariterverein hat gegen den Mitgliederschwund viel getan. Vor wenigen Jahren hat er in Lauenen eine öffentliche Übung durchgeführt. «Das Publikumsinteresse war gross, aber leider haben wir dadurch keine neuen Samariter gewonnen.» Regelmässig laden die Samariter Nichtmitglieder ein, an den regelmässigen Übungen teilzunehmen, aber auch hier habe man keinen Erfolg. Weil viele Übungen in den vergangenen zwei Jahren nicht stattfinden konnten, habe die Pandemie die Situation zusätzlich verschärft.

Fusion nicht sinnvoll
Eine Fusion mit dem Samariterverein Zweisimmen kommt für die Saaner trotz der Offenheit beider Vereine nicht infrage, dafür sei die Distanz zu gross, das habe der Praxistest bewiesen. Die Samariter aus Saanen hatten vor einigen Jahren keinen Lehrer, weshalb sie das Angebot der Zweisimmner angenommen haben, ihre Übungen gemeinsam in Zweisimmen zu absolvieren. «Von den zwanzig Aktiven ist immer nur eine Handvoll nach Zweisimmen gefahren», zieht der Lauener Bilanz.

Noch nicht alles verloren
Trotz der Überalterung und der schwierigen Suche nach Nachwuchs gibt Patrick Westemeier nicht auf. In anderen Organisationen wie der Feuerwehr Lauenen habe man den Mitgliederschwund mit etwas Glück stoppen können: «Ein im Dorf beliebter junger Mann trat der Feuerwehr bei. Bald darauf haben es ihm ein paar andere nachgemacht.» Diese Sogwirkung erhofft sich der Lauener auch im Samariterverein: «Wenn die richtige Person oder die richtige Personengruppe zu uns stösst, löst sich das Problem von allein.» Grosse Chancen sieht er auch darin, dass der Samariterverein über zwei junge und engagierte Lehrer verfügt. «Roland Reichenbach und Hans-Rudolf Romang sind gut ausgebildet und motiviert», freut er sich. Ob einheimische Sportanlässe weiterhin auf die fachkundigen Leistungen von einheimischen Samaritern bauen können oder bald professionelle Sanitätsfirmen beauftragen müssen, hängt also ganz vom Engagement der Bevölkerung ab.


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